The Imitation Game

Ist das Leben gerecht? Ich gehöre zu den Gutmenschen, die das liebend gerne wahr haben wollen – und doch im tiefsten Inneren wissen, dass dem leider nicht so ist. Und deshalb ertrage ich Ungerechtigkeiten nur schwer, egal ob sie mir oder anderen widerfahren.

Geht es nach Morten Tyldums The Imitation Game, dann hat Alan Turing unser aller Leben bestimmt. Während des zweite Weltkrieges benutzten die Nazis eine Rotor-Schlüsselmaschine namens Enigma zum Kodieren wichtiger Einsatzbefehlen. Turing, ein brillanter Mathematiker, wurde deshalb von der britischen Regierung eingestellt, den Code der Maschine zu knacken. Das Problem dabei: Ein einzelner Mensch müsste derart viele Kombinationen und Möglichkeiten durchprobieren, wofür er mehrere Millionen (!) Jahre Zeit bräuchte. Zudem änderten die Nazis täglich die Einstellungen der Enigma, weshalb die Suche zur Entschlüsselung maximal 18 Stunden vom ersten Funkspruch um 6 Uhr morgens bis Mitternacht dauern durfte.

Spoiler in diesem und dem folgenden Absatz: Turing hat es trotzdem geschafft: Mit einer eigenen Maschine, deren Architektur ganz nebenbei die Grundlagen der modernen Computertechnologie prägte. Gleichwohl macht der Film klar, dass Technik allein nicht ausreichte beziehungsweise nicht schnell genug gewesen wäre. Erst durch eine pfiffige Idee, die Anzahl der Kombinationen drastisch einzuschränken und auf die keine Maschine ohne menschliche Hilfe gekommen wäre, gelang der Clou.

Alan Turing hätte eigentlich als Held in die Geschichte eingehen müssen, doch dieser Status wurde ihm Zeit seines Lebens verwehrt. Nach Ende des Krieges durfte niemand von der Entschlüsselung Enigmas erfahren. Zudem wurde er knapp eine Dekade später aufgrund seiner Homosexualität verhaftet und zur chemischen Kastration verdonnert, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Ein Jahr nach seiner Verurteilung entschied sich Turing für den Suizid.

The Imitation Game ist ein faszinierender Film, der seine Größe durch eine geschickte Gratwanderung erreicht. Er muss zum einen eine Erfolgsgeschichte mit “Happy-End“ und zum anderen einen tragischen Epilog miteinander vereinen. Möglich wird dies dank Drehbuchautor Graham Moore, der sich auf die Ereignisse konzentriert, die zum Knacken der Enigma geführt haben. Zwischendurch schiebt er einzelne Szenen aus anderen Jahrgängen ein, die Turings Verhalten und Schicksal vorher wie nachher besser beleuchten, ohne von seiner eigentlichen Leistung abzulenken. Eine chronologische Abhandlung aller Ereignisse hätte jedenfalls einen völlig falschen Eindruck hinterlassen und den eigentlichen Triumph zur Randnotiz verkommen lassen, weil der Film danach noch gute dreißig Minuten weiter gelaufen wäre.

Es sei auch gleich hinterher gesagt, dass sich das Drehbuch im Gegensatz zu Die Entdeckung der Unendlichkeit viele künstlerische Freiheiten nimmt. Beispielsweise ziehen Tyldum und Moore gegen Ende eine kleine Pointe aus der Schublade, die mich sehr berührt hat und die sich die beiden jedoch ausgedacht haben. Die Art der Wahrheitsdehnung erinnert mich deshalb an den dramatischen Höhepunkt in Ben Afflecks Argo, der ebenfalls in dieser Form frei erfunden war. Aber wie sage ich so schön: Ein Film ist schließlich ein Film und muss sich nicht sklavisch an die Wahrheit halten, so lange er mir nicht auf eine hinterhältige Weise irgendwelche falschen Eindrücke vermittelt. Die Botschaft, die Tyldum und Moore mit The Imitation Game erreichen wollen, ist jedenfalls in meinen Augen gerecht dafür, was mit Turing tatsächlich passiert ist.

Was mich eher stört, ist die schauspielerische Darstellung der Protagonisten: Sowohl Benedict Cumberbatch als auch Keira Knightley in der Rolle von Joan Clarke, die Turing zum Bau der Maschine verhalf und mit der er eine tiefe Freundschaft verband, wirken auf mich wie klassische Figuren in einem Drama und keine Projektionen der Realität. Cumberbatchs Oscar-Nominierung kann ich noch nachvollziehen, weil er einen interessanten wie eigensinnigen Charakter verkörpert, der mich besonders zum Schluss hin zu Tränen rührt. Aber Knightley gehört in die typische “gut und passend – nicht mehr“-Schublade, deren Leistung ich weniger als Auszeichnungs würdig betrachte.

Die wahren Stärken von The Imitation Game liegen abseits des wirklich hervorragend geschriebenen Drehbuches ganz woanders. Der Filmschnitt sorgt trotz diverser Zeitsprünge für eine klare Übersicht und sowohl Kamera als auch Ausstattung fangen das Flair der damaligen Tage sehr gut ein. Unübertroffen ist Alexander Desplat, der mich mit seinem Hauptthema so sehr begeistert wie nie zuvor. Es ist primär triumphierend sowie aufbauend und doch gleichzeitig im Abklang tragisch und schwer. Es beginnt ungewöhnlich flott und läuft gegen Ende regelrecht aus, passend zum “Rennen gegen Zeit“, das Turing und seine Mannen mit den Nazis austragen.

Ja, das Leben ist leider ungerecht – aber auch wenn der Film Alan Turings Geschichte gekonnt überdramatisiert, ist das Ergebnis vielleicht die einzig angemessene Form der “Gerechtigkeit“, jene die Filmwelt dem Mann geben kann.

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Beste Regie (Morten Tyldum), Bester Hauptdarsteller (Benedict Cumberbatch), Beste Nebendarstellerin (Keira Knightley), Bestes Drehbuch (adaptiert), Bester Filmschnitt, Beste Musik, Bestes Produktionsdesign.

Alle Kritiken der Best-Picture-nominierten Filme 2014:

Boyhood
The Grand Budapest Hotel
Die Entdeckung der Unendlichkeit
The Imitation Game
Birdman
Whiplash
American Sniper
Selma