Bohemian Rhapsody

Über Geschmack lässt sich nicht streiten – doch gehen sich Filmfans regelmäßig an die Gurgel, wenn nicht ihr Favorit der Abräumer der Saison ist. Und wenn dann auch noch zwei unterschiedliche Lager auf ihre Meinungen beharren, dann ist Krieg angesagt.


1970 heißt der berühmte Leadsänger der Rockband Queen noch Farrokh Bulsara. Als er jedoch Brian May und Roger Taylor bei einem ihrer Auftritte in einer Bar kennen lernt und sich ihnen anschließend will, stellt er sich lieber als Freddie vor. Gleichzeitig trifft er auf die attraktive Mary Austin, mit der er eine Beziehung eingeht… und das Leben scheint so richtig Fahrt aufzunehmen.

In der Tat dauert es laut Film nicht lange, bis mit Killer Queen der erste internationale Hit steht. Es folgt das gewagte und titelgebende Bohemian Rhapsody, das mit einer Laufzeit von über sechs Minuten ungewöhnlich lang ist. Viele raten Queen von der Veröffentlichung ab, weil der Mix aus Rock und Opera nicht Massenmarkt tauglich sei und Radiostationen den Song aufgrund seiner Länge nicht spielen würden. Hinzu kommen die Schlagzeilen der Kritiker, die Bohemian Rhapsody zerreißen. Also das Lied, nicht den Film. Hör ich da leise Déjà-vu?

Wie wir heute alle wissen ist das Ding ein Hit und eine weitere Stufe für den wahnsinnigen Erfolg von Queen. Die Geschichte macht nicht Halt und erzählt den Erfolg der Band bis zum spektakulären Live-Aid-Konzert im Jahre 1985, dessen Queen-Auftritt fast in seiner vollen Länge nach gespielt wird.

Bohemian Rhapsody ist somit zum Erfolg verdammt. Abseits von Freddie Mercurys tragischer AIDS-Erkrankung und ein paar kleineren Dramen, die Streit unter den Bandmitgliedenr aufkochen lassen, ist der Film von vorne bis hinten eine seichte, wie effektive Hommage der Kultband. Das Drehbuch ist entsprechend dünn und 99% aller Schauspieler Marionetten – und zwar jene von Rami Malek als Freddie Mercury, versteht sich.

Der Junge wird einen Oscar gewinnen – da mögen sich die Blogger und Kritiker noch so sehr aufregen. Aber mit einem Golden Globe, einem Screen Actor Award und einem BAFTA im Gepäck ist man nahezu unaufhaltsam. Interessant ist nur, dass gerade in der Kategorie Best Actor mit Bradley Cooper, Christian Bale und Viggo Mortensen eine außergewöhnlich starke Konkurrenz vorhanden ist.

Neben Malek sind es vor allem die Songs, die faszinieren und ständig Gänsehaut erzeugen. Sie werden subtil durch den kompetenten Schnitt und verspielten Überblendungen unterstützt. Insofern steckt schon eine gewisse Kunst in Bohemian Rhapsody – aber meines Erachtens liegt das weniger an den Filmschaffenden. Die Musik ist regelrecht ein Geschenk für alle Beteiligten und wohl der wahre Grund für die Best-Picture-Nominierung.

Denn wie sonst lässt sich der harsche Tonfall der Kritiker erklären, die dem Film laut Metacritic im Schnitt nur 49 Punkte gönnen? Die schauen nämlich hinter das Queen-Aushängeschild und monieren ein Biopic ohne wahre Größe und mit viel zu viel Klischees.

Nun gut: Best-Picture-Nominierungen von Filmen, die mehr das Publikum als der versierte, leicht versnobbte Filmliebhaber mag, sind keine Seltenheit – man erinnere sich nur an The Blind Side oder The Help. Doch im Falle von Bohemian Rhapsody kommt noch ein anderer Aspekt hinzu, der die #MeToo-Bewegung auf ihren ersten Prüfstand setzt: Regisseur Bryan Singer.

Den Gerüchten über seine angebliche Pädophilie sind inzwischen handfeste Anklagen entsprungen, die von außen betrachtet wahrlich nicht gut aussehen. Singer wurde vermutlich deshalb noch während der Dreharbeiten gefeuert – der offizielle Grund, er habe sich um seine kranke Mutter haben kümmern müssen, klingt arg an den Haaren herbei gezogen.

Wie also geht man nun mit einem Film um, der größtenteils von jemanden wie Bryan Singer gedreht wurde? Einerseits finde ich es gut, dass er seine Chancen im Award-Zirkus erhält – nicht zuletzt weil Singer auf halbem Wege gegen Dexter Fletcher ersetzt. Darüber hinaus ist ein Regisseur zwar ein sehr wichtiges Zahnrad im Getriebe – das jedoch noch aus Hunderten anderen Elementen besteht.

Andererseits mag ich es nicht, wie die Verantwortlichen und auch Rami Malek mit der Sache umgehen. Die Gerüchte um Singer waren bereits lange Zeit bekannt und gleichwohl es inzwischen eine Anklage gibt, fehlt es an einem juristischen Urteil. Die interne Verurteilung scheint ergo mit der MeToo-Bewegung zusammenhängen – und das ist mit Verlaub verlogen. Besonders wenn Malek behauptet, er habe bis vor kurzem nichts über die Anschuldigungen gegenüber Singer gewusst.

Zurück zum Film: Für mich wäre eine Best-Picture-Nominierung nicht notwendig gewesen. Bohemian Rhapsody lebt zu sehr von den Errungenschaften der Queen-Lieder anstatt des eigenen Handwerkes. Gleichwohl registriere ich den effektiven Filmschnitt, Maleks Leistung und die Arbeit bei Ton sowie Tonschnitt. Letzterer lebt von den vielen Sounds, die Instrumente und Equipment von sich geben. Ersterer vereint Maleks Stimme mit der des kanadischen Sängers Marc Martel und Freddie Mercurys Originalaufnahmen – gleichwohl mir selbst der Unterschied zu deutlich hörbar ist.

Somit hat Bohemian Rhapsody in der Tat die richtigen Nominierungen abgestaubt – und nebenbei erwähnt als einziger Best-Picture-Kandidat vier Gildenpreise abgeräumt. Genau genommen all jene, für die er auch bei den Oscars im Rennen ist. Das ist schon beachtenswert: Der Film ist damit in vier von fünf seiner nominierten Kategorien Mit-Favorit für den Sieg. Und deshalb könnte, so verrückt das auch klingen mag, genau das gleiche passieren wie bei den Golden Globes: Nämlich der Preis aller Preise…

Es wäre jedenfalls der perfekt skurile Ausgang für eine bereits äußerst ungewöhnliche Oscar-Saison.

Nominiert für: Bester Film, Bester Hauptdarsteller (Rami Malek), Bester Filmschnitt, Bester Ton, Bester Tonschnitt.