VICE

JFK zählt zu den besten und beliebtesten Filmen des Jahres 1991. Er war für acht Oscars nominiert und gewann immerhin für die Beste Kamera sowie den Besten Filmschnitt. Zudem siegte Oliver Stone als Bester Regisseur bei den Golden Globes. Allerdings hat seine Interpretation über die Ermordung von John F. Kennedy ein klitzekleines Problem: die Wahrheit…


Wer ist Schuld an der Misere, in der Amerika steckt? Warum tut das Land einen Scheiß gegen den Klimawandel? Weshalb mussten mehr als eine halbe Millionen Menschen beim völlig sinnlosen Irak-Krieg sterben? Geht es nach dem Film VICE, dann lautet die Antwort mehr oder weniger: Dick Cheney, der Vize-Präseident von George W. Bush.

Regisseur Adam McKay ist fair genug und warnt den Zuschauer. Er beschreibe eine wahre Geschichte – oder besser gesagt so wahr wie es nur sein könne, weil Cheney eine der Geheimnis umwobensten Führungspersönlichkeiten der jüngeren Geschichte sei. Allerdings habe man sich „scheiß Mühe“ gegeben, das beste herauszuholen.

Nicht wenige kritisieren VICE gerade aufgrund dieser Aussage, weil sich der Film ein paar abenteuerliche Freiheiten nimmt. Das sei doch keine „scheiß Mühe“ – und ich schüttele nur den Kopf, weil diese Leute die Ironie nicht verstanden haben.

Natürlich ist VICE alles andere als wahr: Es ist eine Karikatur, wo allenfalls deren Star Christan Bale als Dick Cheney auf mich seriös wirkt. Allein Steve Carrell als Donald Rumsfeld ist derart überzogen – es ist so offenstichtlich, dass McKay ihn nicht im buchstäblichen Sinne ernst meint! Die Golden Globes haben das entsprechend erkannt und VICE mit drölfzig Millionen Nominierungen bedacht – in der Kategorie Comedy or Musical, wohlgemerkt.

Der Film ist größtenteils chronologisch, springt aber gerade am Anfang gerne mal weit in die Zukunft. Zu keinem Zeitpunkt wirkt er dabei zerfasert oder gar unübersichtlich, weshalb VICE zurecht einer der Favoriten für den Besten Filmschnitt ist.

Cheney wird bereits als scheiternder Student gezeigt, dessen Jugendliebe und künftige Ehefrau Lynne alles andere als nett mit ihm umspringt. Sie brauche ihn schließlich für ihre Machtansprüche, die sie als Frau niemals ausleben könne. Danach springt die Geschichte zu verschiedenen Positionen, darunter sein Amt als Verteidigungsminister für Papa Bush oder seine Beschäftigung als CEO bei Halliburton. Die Vizepräsidentschaft kommt eigentlich nur in der zweiten Filmhälfte so richtig zum Einsatz – und wirkt doch durch die besagten Vorblenden wie eine allmächtige Präsenz.

Cheney wird weniger als korrupt oder skrupellos dargestellt: Er wirkt auf mich einfach knallhart kalkulierend. Der einzige, der am 11. September einen kühlen Kopf bewahrt und völlig ruhig ist. Laut McKay empfindet er Macht als überaus reizvoll, ohne wirklich etwas mit ihr anfangen zu wollen. Es geht einfach nur darum, dass ER kann was ER will – egal ob es sinnvoll ist oder nicht.

Christian Bale ist so gut in dieser Rolle, weshalb man phasenweise so etwas sie Sympathie für Cheney fühlt – speziell wenn er seine lesbische Tochter verteidigt und deshalb auf eine Kandidatur als Präsident verzichtet. Dies hat mich den ganzen Film über mehr als irritiert, bis zum bitteren Ende (Achtung, Heavy-Spoiler): Cheney bekommt ein neues Herz verpflanzt und parallel dazu gibt er seiner anderen Tochter, die für den Kongress kandidiert, das „O.k.“: Ja, du darfst dich öffentlich gegen die Homo-Ehe aussprechen.

Dies ist der einzige Punkt, den McKay von der Wahrheit her verdreht und der mich wirklich stört: weil er nichts karikiert, sondern der Verteufelung Cheneys dient. Natürlich verstehe ich die Intention dahinter, nämlich den Mann unmissverständlich als Arschloch zu charakterisieren. Aber bitte nicht so – denn das streut nur Wasser in die Mühlen derer, die mit roten MAGA-Mützen nach „Fake News!“ schreien.

Ansonsten ist VICE brillant und lebt vor allem von seinem schnippischen Tonfall – beispielsweise wenn McKay so tut, als ob Cheney sich komplett aus dem Politleben zurückgezogen habe, glücklich mit seiner Frau seinen Lebensabend verbringe und mitten im Film die Credits über der Leinwand flimmern – nur um uns mit dem schrillen Telefonklingeln aufzuwecken, der ihm das Amt des Vizepräsidenten einbringt.

Es ist gerade dieses Einstreuen solch surrealer Momente, die bereits The Big Short so groß gemacht haben – und weshalb Adam McKay innerhalb von ein paar Jahren zu den kreativisten Regisseuren sowie Drehbuchautoren seiner Generation aufgestiegen sind. Wer hätte das nach Anchorman gedacht?

Nominiert für: Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller (Christian Bale), Bester Nebendarsteller (Sam Rockwell), Beste Nebendarstellerin (Amy Adams), Bestes Original-Drehbuch, Bester Filmschnitt, Bestes Makeup.