The Favourite

Kostüm- und Historienfilme stehen mehr denn je vor einem Problem: Was sollen sie noch zeigen, was noch nicht gezeigt wurde? Der neue Mary Queen of Scots mit Saoirse Ronan und Margot Robbie ist eigentlich ein guter Film – doch im gleichen Zuge auch total belanglos. Kaum ein Genre fühlt sich mehr ausgereizt an. Schließlich können wir ja keine Geschichte erfinden…


Wir befinden uns im frühen 18. Jahrhundert: Königin Anne regiert England mehr schlecht als recht. Sie ist gesundheitlich arg angeschlagen, höchst launisch und wirkt eigentlich nur noch wie eine wirre, alte Frau. Das ist ihrer „besten Freundin“ Sarah Churchill nur recht: So kann sie ihr unterbewusst Ratschläge einflüstern und das Land in ihrem eigenen Interesse steuern.

Sarah begeht jedoch einen Fehler, indem sie ihre verarmte Cousine Abigail Masham an den Hof holt. Die bekommt Wind von der engen Beziehung zwischen Sarah und Königin Anne und versucht ihrerseits eine ähnliche Position einzunehmen. Oder vielleicht gar eine bessere…? Dieser Plotaufhänger ist bereits spannend genug und trieft nur so vor fiesen Intrigen.

The Favourite ist alles andere als ein gewöhnlicher Kostümfilm. Das macht bereits der Name des Regisseurs klar, der da heißt Yorgos Lanthimos. Wer den Griechen nicht kennt, der schaue sich mal seine vorhergehende Werke von Dogtooth über The Lobster bis hin zu The Killing of a Sacred Deer an. Das sind allesamt außergewöhnliche Filme, die auf originelle Weise Wirklichkeit mit Surrealität vermengen.

Auch in The Favourite fallen mir sofort skurrile Elemente auf – allen voran die Kameraarbeit. Die fängt teilweise einen derart weiten Blickwinkel ein, man meint den Film aus den Augen eines Fisches zu sehen. Und auch die Kostüme sind teilweise viel zu pompös und zu verspielt, was der Geschichte etwas Fantastisches vermittelt.

Gleichzeitig hält sich Lanthimos zurück und bleibt auf dem Boden der Glaubwürdigkeit – vermutlich weil er erstmals nicht am Drehbuch mitwirkte. Die Dialoge (geschrieben von Deborah Davis und Tony McNamara) sind weniger bizarr und mehr eine Karikatur der realen Persönlichkeiten. Das kommt besonders bei Königin Anne zum Vorschein, die herrlich wehleidig, missmutig, kindisch und falsch rüber kommt.

Zudem ist die Sprache erstaunlich modern, herrlich witzig und trotzdem passt sie zum gesamten Tonfall. Man meint, unsere heutige Generation wäre per Zeitmaschine ins alte England gekickt und dürfte Monarchie spielen.

Der Film hat zudem das Glück, mit Olivia Colman, Emma Stone und Rachel Weisz ein tief beeindrucktes Dreiergespann zu haben. Die drei Frauen konnten sich zurecht aussuchen, ob sie bei den Oscars als Haupt- oder als Nebendarsteller nominiert werden möchten: Sie wären so oder so erfolgreich durch gerutscht. Colman ist die Verrückte und Egozentrische. Weisz mimt die Korrupte und Machthungrige. Stone schafft die Clevere und die Hinterhältige. Egal wer in welcher Szene mit wem etwas zu tun hat: Es funktioniert, es ist dynamisch und es ergibt bis zum dezent deprimierenden Ende Sinn.

Ironischerweise ist diese konstant hohe Stärke der Darsteller das größte Problem,wenn es um einen potenziellen Oscar-Gewinn geht. So haben sich die Damen im Vorfeld darauf verständigt: Colman kampiert für die Hauptdarsteller-Kategorie, während sich Weisz und Stone mit der Nebendarsteller-Sparte begnünge. Das ist auch verständlich, denn wenn alle drei in einem Feld gelandet wären, dann wären die Siegchancen noch geringer.

Nun hat man wohl auf die falschen Pferde gesetzt: Colman entpuppt sich im Nachhinein als der große Liebling und hätte in jedem Fall bei der gegebenen Konkurrenz den Nebendarsteller-Oscar gewonnen. Aber bei den Hauptdarstellern möchte niemand gegen die überfällige Glenn Close für The Wife setzen.

Andersherum nehmen sich Weisz und Stone tatsächlich die Butter vom Brot, weil eine Entscheidung zwischen den beiden richtig schwer fällt. Bei den BAFTAs hat immerhin erstere gesiegt – aber primär deshalb, weil Regina King für If Beale Street Could Talk gar nicht erst nominiert ist. Somit droht ein Leerlauf, gleichwohl ich schon glaube: Die Rachel, die Weisz kann das schaffen.

Ansonsten dürfte es bei Ausstattung und Kostüme an Oscars regnen. Für beste Regie ist kein Platz neben Alfonso Cuaron – und was ist dann mit bester Film? Nun, mit den meisten Nominierungen des Jahres steht man immer gut da. Besonders bemerkenswert ist jene für den Schnitt, den Filme dieser Art eher selten erhalten. Aber all die Träume sind mit den BAFTAs geplatzt, wo es einerseits fünf Auszeichnungen gab und andererseits dann doch Roma Best Picture einheimste.

Ja, die BAFTAs sind nicht die Oscars – und ebenfalls richtig: Gerade in den letzten Jahren stimmen deren Top-Preise nicht überein. Aber schaut euch mal ein paar Gewinner in der Vergangenheit an: AtonementThe QueenThe Full Monty. Zudem Nominierungen für An Education, Tinker, Tailer, Soldier, Spy oder Darkest Hour – die Briten mögen IHRE Filme wirklich besonders gerne. Doch trotzdem scheitert der Favorit The Favourite. Blöd gelaufen.

Und was sagt der Herr Awardian persönlich? Nun, The Favourite ist über weite Strecken ein sehr guter Film, der vor allem aufgrund seines Humors funktioniert. Erst gegen Ende fährt er immer weiter zurück – was auch perfekt zur Geschichte und zur Entwicklung der Charaktere passt.

Deshalb gibt es für mich einen Punkt, an dem das Zuschauen eher anstrengend ist – was Lanthimos wohl auch möchte. The Favourite funktioniert also genau so wie geplant. Doch mich persönlich nervt es trotzdem, dass aus Spaß Verbitterung entsteht. In solchen Momenten kann ich dann schon die alten Greise der Academy verstehen, die ein 08/15-Feel-Good-Movie vorziehen…

Nominiert für: Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin (Olivia Colman), Beste Nebendarstellerin (Rachel Weisz), Beste Nebendarstellerin (Emma Stone), Bestes Original-Drehbuch, Bester Filmschnitt, Beste Kamera, Beste Kostüme, Bestes Produktionsdesign.