Die Golden Globes sind eine Prestige-trächtige Veranstaltung, die aufgrund ihrer Jahre langen Reputation und ihres Geschick der Vermarktung landläufig als eine Art Glaskugel für die Oscar-Verleihung gelten. Doch in Wahrheit gibt es einen anderen Indikator, der viel “wichtiger“ ist: die Gilden. Egal ob Schauspieler, Regisseure, Produzenten oder Drehbuchautoren: Alle sind sie Teil ihrer eigenen Gilde, die ebenfalls viele Preise verleihen. Und weil es eine Schnittmenge an Wählern gibt, die sowohl bei den Gilden als auch bei den Oscars mitmischen dürfen, gleichen sich die Nominierungs-Felder und insbesondere die Gewinner bedeutet stärker als es sich die Jungs bei der Hollywood Foreign Press Assocation wünschen…
Heute hat die Screen Actor Gilde ihre Nominierungen bekannt gegeben und vieles zementiert, in mancher Hinsicht überrascht sowie in einigen Punkte ein paar Fragezeichen offen gehalten. Vorweg: Richard Linklaters Boyhood ist weiterhin ganz klar auf Oscar-Kurs. Bestes Ensemble? Check! Beste Nebendarstellerin? Check! Bester Nebendarsteller? Check! Mehr war nicht zu erwarten und mehr braucht es auch nicht.
Noch besser dabei ist Birdman, denn da gab es neben einer Erwähnung für das Ensemble auch individuelle Nominierungen für Michael Keaton (Hauptdarsteller), Emma Stone (Nebendarstellerin) und Edward Norton (Nebendarsteller). Ich hab das neue wie eigenwillige Meisterwerk von Alejandro González Iñárritu noch nicht gesehen, aber nach wie vor rieche ich zumindest einen Durchmarsch für Keaton auf dem diesjährigen Awardzirkus.
Zu guter Letzt dürfen zwei landläufig “unbeliebte“ Streifen ebenfalls feiern, namentlich The Imitation Game und Die Entdeckung der Unendlichkeit. Die haben auch ihr Soll erfüllt, was insbesondere Sherlock-Fans interessieren dürfte. Denn wenn einer Keaton gefährlich wird, dann Benedict Cumberbatch als Alan Turing für The Imitation Game. Oder doch Eddie Redmayne als Stephen Hawkins für Die Entdeckung der Unendlichkeit? Das Feld der Hauptdarsteller gilt jedenfalls in diesem Jahr als beängstigend eng, weshalb es (* gasp *) diesmal richtig spannend werden könnte!
Doch wen interessiert das an einem solchen Abend, wenn doch das Licht auf die Unerwarteten scheint, mit denen keiner im Vorfeld gerechnet hatte?
Überraschend mit dabei sind…
- …The Grand Budapest Hotel für das beste Ensemble. Wird es endlich passieren? Kriegt ein Film von Wes Anderson ENDLICH eine “Best Picture“-Nominierungen? Es wäre ein Traum und direkt nach der Veröffentlichung von Grand Budapest Hotel hatten auch einige ernsthaft spekuliert, dass es 2014 tatsächlich wahr werden könnte. Doch viel zu viele Filme, die zu so einem “frühen“Zeitpunkt in den Kinos liefen, wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten von den Oscars vergessen. In der Regel schafft’s allenfalls (!) einer mit einem US-Kinostart vor September (!)… und Boyhood ist bereits definitiv dieser eine, weshalb rein statistisch gesehen kaum einer mehr mit Grand Budapest Hotel gerechnet hat. Bevor ich weiter träume: In der Regel schaffen es “nur“ vier von fünf Filmen, die bei den SAG als Ensemble dabei sind, in die Best-Picture-Riege – auch wenn dort bis zu zehn Nominierungen möglich sind. Und Wes Andersons quirkiger Film sieht eindeutig am verwundbarsten aus… leider.
- …Die Entdeckung der Unendlichkeit für das beste Ensemble. Dieser Film galt bereits als nahezu sicheres Oscar-Material, doch diese Ensemble-Nominierung ist durchaus bemerkenswert. Insbesondere, wenn dafür anderer hoch gehandelter Stoff wie Gone Girl, Into the Woods oder Foxcatcher auf die “Bank“ mussten.
- … Jake Gyllenhaal für “Nightcrawler“. Der Mann galt zwar durchaus bei dem einen oder anderen als ein möglicher Überraschungskandidat für eine Nominierung, aber solche Weissagungen fühlen sich eher wie Wunschdenken an. Seine Erwähnung ist umso erstaunlicher, weil wie bereits erwähnt das Feld der besten Hauptdarsteller in diesem Jahr ungewöhnlich dicht und undurchdringlich ist. Seine vier Mitnominierten galten bereits im Vorfeld als 101%-ig sicher – und eigentlich auch solch Leute wie David Oyelowo für Selma (zu dem Film später mehr), Timothy Spall für Mr. Turner oder Bradley Cooper für American Sniper.
- …Jennifer Aniston für “Cake“. Erneut kommt das nicht völlig aus dem Nichts, weil die gute Frau angeblich ihren Film und ihre Rolle wie blöde bewirbt. Zudem darf man nicht vergessen, dass die SAG-Wähler zum Teil aus dem TV-Bereich kommen. Und die haben Mrs. Aniston bereits neunmal (!) im Rahmen der alten Friends-Serie auf die Liste gesetzt… Will sagen: Eine Oscar-Nominierung ist für sie alles andere als sicher.
- …Naomi Watts für “St. Vincenct“. O.k., DAS ist ‘ne Überraschung, in nahezu jedweder Hinsicht. Ähnlich wie im Falle Gyllenhaals hatten einige Wunschdenker Bill Murray auf dem Zettel, der in St. Vincent die Hauptrolle spielt. Doch eigentlich gilt der Film als zu “klein“ und zu “unbekannt“. Und nun kommt völlig aus dem Nichts eine Naomi Watts daher und klaut den fünften Spot in der Riege der Nebendarstellerinnen…
- Uzo Aduba für “Orange is the New Black“. Ich möchte mich eigentlich auf die Film-Awards konzentrieren, aber das hier gehört erwähnt und gefeiert. Uzo Aduba hat einen Emmy gekriegt – als beste “Gastdarstellerin“ in einer Comedy-Serie. Solch Kleingewusel gibt es bei den SAG nicht, ganz im Gegenteil: Die machen im TV-Segment nicht mal einen Unterschieden zwischen Haupt- und Nebenrolle. Trotzdem wurde Uzo Aduba neben solch Namen wie Julia Louis-Dreyfuß für Veep oder Amy Poehler für Parks and Recreation nominiert – und vor Taylor Schilling, dem Star von Orange is the New Black!
Überraschend nicht dabei sind…
- …Selma für irgendwas. Komplett raus, weg, davon. Vor ein paar Wochen wurde dem Biopic rund um Marin Luther King noch eine Underdog-Rolle für die Oscars eingeräumt, der den (inzwischen fast schon unaufhaltsamen) Siegeszug der Boyhood-Crew stoppen könnte. Doch nun fehlt der Film hier in allen Kategorien, sei es Hauptdarsteller, Nebendarsteller oder eben Ensemble. Rein statistisch betrachtet ist dies ein Riesenproblem: Denn abseits von 1995, wo der SAG Award zum ersten Mal überhaupt vergeben wurde, war der Best-Picture-Gewinner bei den Oscars IMMER nominiert für das beste Ensemble. Aber (und das ist ein großes ABER): Dieses Jahr könnte eine Ausnahme sein. Denn so wie es ausschaut, wurde Selma nicht übergangen, weil der Film nicht gut ankam – sondern weil die Wähler für den SAG Award ihn nicht rechtzeitig gesehen haben. Und damit wäre die angeführte Statistik null und nichtig.
- …A Most Violent Year für irgendwas. Das gleiche gilt für J.C.Chandors Drama, das vor ein paar Tagen ganz überraschend den ebenfalls hoch angesehenen National Board of Review Award gewonnen hat und nun bei den SAG Awards komplett fehlt. Zumindest Jessica Chastain hatte man eigentlich als Nebendarstellerin fest auf dem Tippschein…
Natürlich gibt’s noch ein paar andere Jungs und Mädels, die im Vorfeld oft erwähnt wurden und die nun fehlen – allen voran Hillary Swank für The Homesman. Aber unterm Strich haben die Oscar-Watcher in diesem Jahr verdammt gut hingesehen. Ach ja, ein Wort vielleicht noch zu Unbroken, dass abseits des mickrigen Stunt Ensembles ebenfalls leer ausging: Mir war das von Anfang an klar. Die Zeiten, in denen ein Film dank Trailer und Thematik nach Oscar schreit und entsprechend berücksichtigt wird, sind längst vorbei. Um genau zu sein gab’s das zuletzt 1996 (!) mit dem Englischen Patienten.
Ich verstehe zudem bis heute nicht, wo das Vertrauen her kam, Angelina Jolie wäre abseits einer guten Schauspielerin automatisch eine gute Regisseurin. Ja, bei den Männern haben das ein paar geschafft – siehe Robert Redford, siehe Clint Eastwood. Aber das ist doch deshalb kein Garant, dass der Trick immer funktioniert. Es hätte mich für die Frau gefreut, keine Frage. Aber die lieben Oscar-Watcher sollten endlich mal aufhören, solch auf dem Papier “grandios nach Oscar riechende“ Kandidaten derart hoch zu stilisieren. Diese Filme können nur “fallen“ – fragt mal Steven Spielberg und Die Gefährten…
Abschließend sämtliche Nominierungen im Gesamtpaket:
Motion Picture
Bestes Ensemble
Birdman
Boyhood
The Grand Budapest Hotel
The Imitation Game
Die Entdeckung der Unendlichkeit
Bester Hauptdarsteller
Steve Carrell (Foxcatcher)
Benedict Cumberbatch (The Imitation Game)
Jake Gyllenhaal (Nightcrawler)
Michael Keaton (Birdman)
Eddie Redmayne (Die Entdeckung der Unendlichkeit)
Beste Hauptdarstellerin
Jennifer Aniston (Cake)
Felicity Jones (Die Entdeckung der Unendlichkeit)
Julianne Moore (Still Alice)
Rosamund Pike (Gone Girl)
Reese Witherspoon (Wild)
Bester Nebendarsteller
Robert Duvall (The Judge)
Ethan Hawke (Boyhood)
Edward Norton (Birdman)
Mark Ruffalo (Foxcatcher)
J.K. Simmons (Whiplash)
Beste Nebendarstellerin
Patricia Arquette (Boyhood)
Keira Knightley (The Imitation Game)
Emma Stone (Birdman)
Meryl Streep (Into the Woods)
Naomi Watts (St. Vincent)
Bestes Stunt Ensemble
Fury
Get On Up
Der Hobbit: Die Schlacht der Fünf Heere
Unbroken
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit
Television Drama
Bestes Ensemble
Boardwalk Empire
Downton Abbey
Game of Thrones
Homeland
House of Cards
Bester Darsteller
Steve Buscemi (Boardwalk Empire)
Peter Dinklage (Game of Thrones)
Woody Harrelson (True Detective)
Matthew McConaughey (True Detective)
Kevin Spacey (House of Cards)
Beste Darstellerin
Claire Danes (Homeland)
Viola Davis (How to Get Away with Murder)
Julianna Margulies (The Good Wife)
Tatiana Maslany (Orphan Black)
Maggie Smith (Downton Abbey)
Robin Wright (House of Cards)
Television Comedy
Bestes Ensemble
The Big Bang Theory
Brooklyn Nine-Nine
Modern Family
Orange is the New Black
Veep
Bester Darsteller
Ty Burrell (Modern Family)
Louis C.K. (Louie)
William H. Macy (Shameless)
Jim Parsons (The Big Bang Theory)
Eric Stonestreet (Modern Family)
Beste Darstellerin
Uzo Aduba (Orange is the New Black)
Julie Bowen (Modern Family)
Edie Falco (Nurse Jackie)
Julia Louis-Dreyfus (Veep)
Amy Poehler (Parks and Recreation)
Television Movie or Miniseries
Bester Darsteller
Adrien Brody (Houdini)
Benedict Cumberbatch (Sherlock: His Last Vow)
Richard Jenkins (Olive Kitteridge)
Mark Ruffalo (The Normal Heart)
Billy Bob Thornton (Fargo)
Beste Darstellerin
Ellen Burstyn (Flowers in the Attic)
Maggie Gyllenhaal (The Honorable Woman)
Frances McDromand (Olive Kitteridge)
Julia Roberts (The Normal Heart)
Cicely Tyson (The Trip to Bountiful)
Television Comedy or Drama
Bestes Stunt Ensemble
24: Live Another Day
Boardwalk Empire
Game of Thrones
Homeland
Sons of Anarchy
The Walking Dead
Die Verleihung selbst findet am 25. Januar statt. Morgen sind im übrigen die Golden Globes an der Reihe, die ihre eigenen Nominierungen bekannt geben werden.