Interstellar

Hype ist etwas gefährliches: Unberechtigt sorgt er mittelfristig für Enttäuschungen und langfristig für Schaden. Berechtigt hilft er kaum, etwas Grandioses noch grandioser zu machen. Hype ist nur dazu da, Vorfreude zu schüren.

Wie oft habe ich mir im Nachhinein gedacht: “Hätte ich bloß keine Erwartungen gehabt.“ Ich bin immer noch felsenfest davon überzeugt, dass Titanic deshalb einer meiner absoluten All-Time-Favorites geblieben ist, weil ich vor meinem damaligen Kinobesuch NICHTS wusste – außer, dass das Schiff unter geht und wer die Musik komponiert hat.

Ich habe mich sehr auf Interstellar gefreut. Ein Film von Christopher Nolan, der mich bislang immer unterhalten (The Following, Insomnia, Batman Begins, The Dark Knight Rises) bis begeistern (Memento, The Prestige, The Dark Knight, Inception) konnte. Dazu ein klassisches Science-Fiction-Szenario, mit einer vielleicht altbackenen, aber dadurch auch vertrauten Aura. Zu guter Letzt ein Trailer, der mich sofort am Haken hatte – was in meinem Falle eher selten passiert. Nein: Ich müsste lügen, wenn ich meine Erwartungen bezüglich Interstellar runter spielen würde.

Cooper (gespielt von Matthew McConaughey) lebt mit seinen beiden Kindern in einer trostlosen Zukunft. Die Erde ist am Ende und die schrumpfende Menschheit steckt sämtliche ihre Energien in die Farmerei, um trotz der stetig wiederkehrenden Staubstürme noch möglichst viele Essensrationen zu erzeugen. Der Hunger nach neuer Technologie und das Bestreben nach Wachstum weicht immer mehr dem Zwang, ums nackte Überleben kämpfen zu müssen.

Gleichwohl arbeitet die NASA im Geheimen an einem ehrgeizigen Raumfahrtprojekt, das die Umsiedlung der noch lebenden Menschen auf einen anderen Planeten vorsieht. Möglich sei das Unterfangen dank eines Wurmlochs, welches urplötzlich vor 50 Jahren in der Nähe des Saturns erschienen sei. Ein Dutzend Astronauten seien bereits hindurch geflogen, um zwölf potenziell geeignete Planeten zu erforschen. Doch leider gibt es keinerlei verlässliche Rückmeldung, wer erfolgreich gewesen sein könnte.

Gemeinsam mit einem kleinen Team soll Cooper ebenfalls durch das Wurmloch fliegen und anhand weniger Daten, die die besagten Astronauten senden konnten, entscheiden, welcher Planet letztlich zur Rettung der Menschheit in Frage käme. Weil die Mission Jahrzehnte in Anspruch nimmt und zudem aufgrund der Relativitätstheorie die Zeit für das Team bedeutend schneller verläuft, gibt es einen Plan A und einen Plan B: Plan A beinhaltet eine Rückkehr Coopers, in der Hoffnung, dass die NASA mit ihrer Technologie so weit Fortschritte machen konnte, um riesige, bemannte Archen ebenfalls durch das Wurmloch schleusen zu können. Plan B wiederum ist bedeutend simpler wie brutaler: Das Team reist mit mehreren Containern, in denen befruchtete Eizellen gelagert sind. So soll abseits der Erde eine neue Kolonie von Menschen gegründet werden, damit die Rasse zumindest nicht aussterbe. Gleichzeitig würde dies bedeutend, das alle Zurückgebliebenen dem Tode geweiht wären.

Cooper sieht sich einerseits bereit, weil er vor seinem Zwangsleben als Farmer zu den besten Piloten der Erde gehörte und er zudem keinen Bock darauf hat, auf einem toten Planeten zu verrecken. Andererseits möchte er ungern seine Kinder im Stich lassen: Allen voran seine Tochter Murph leidet immens unter der Aussicht, ihren Vater vielleicht nie wieder zu sehen. Dabei ist es ihre Aufgewecktheit und ihre Beobachtungsgabe, die ihn überhaupt erst zu der Mission führen.

Was ich damit meine? Das müsst ihr euch selbst anschauen, denn es wäre in meinen Augen tödlich, mehr im Vorfeld zu wissen. Interstellar ist kein Film mit großen Überraschungen, ganz im Gegenteil – den vielleicht größten Twist riecht man Meilenweit gegen den Wind. Aber er lebt von einer packenden Entwicklung, in denen die Welt der Wissenschaft mit dem Wunder der Liebe eine einzigartige Symbiose bilden.

„Bitte…was?“ – Ihr habt richtig gelesen: Liebe. Der Plot zwischen Cooper und seiner Tochter ist kein Mittel zum Zweck, die Tränendrüsen des Zuschauers auf Hochtouren zu bringen. Durch den Kniff mit der angedeuteten Zeitdilatation altert Cooper so gut wie gar nicht auf seiner Reise. Murph hingegen sehen wir parallel dazu in verschiedenen Lebensstadien. Die Beziehung zwischen den beiden ist ein essentieller Ankerpunkt für den Verlauf der Mission, allein aufgrund Coopers Motivation, sein Versprechen einzuhalten: dass er wieder zurückkommen werde.

Ich habe im Vorfeld keine Kritiken über Interstellar gelesen und wusste nur, dass es ein typischer „Love it or hate it“-Fall sei. Die Kommentare, die ich mir im Nachhinein angeschaut habe, lassen mich mal wieder ratlos stehen: Die einen beschweren sich, der Film sei zu wissenschaftlich, zu kompliziert, zu abgehoben. Die anderen meckern über die emotionale Komponente und die fehlende Action. Besonders verhasst scheint das zweite Drittel zu sein, weil sich dort die Ereignisse aufgrund „irrationaler“ Entscheidungen überschlagen. Dabei ist es pure Menschlichkeit, was dort passiert.

Meine Erfahrungen waren anders – und beinahe magisch. Die Erwartungen, die ich im Vorfeld hatte, waren von der ersten Minute an wie weggeblasen. Ich saugte Szene für Szene auf und war mir nie ganz sicher, in welche Richtung das ganze laufen würde. Damit meine ich weniger den Fortgang der Geschichte, als die Art der Atmosphäre: Möchte mich Interstellar aufbauen? Beklemmen? Gruseln? Deprimieren? Inspirieren? Motivieren? Um genau zu sein habe ich kaum gedacht, sondern mich einfach treiben lassen. Das schaffen nur verdammt wenige Filme bei mir.

Der einzige Moment, der mich etwas raus gerissen hat, passiert gegen Ende: Dort springt Nolan alle paar Sekunden zwischen Cooper und Murph, was Plot-technisch auch Sinn macht. Jedoch hat Nolan hier einen kleinen Nebenplot rein des Dramas wegen eingebaut, der letztlich unnötig wirkt (Stichwort: „Du musst rauskommen, Murph!“). Davon abgesehen fällt es mir schwer, die Fehler und Schwächen von Interstellar ernst zu nehmen. Natürlich ist das alles nicht perfekt wissenschaftlich belegbar, einiges wirkt dezent verkrampft konstruiert und viele Kernelemente sind typische Ausgeburten der Filmindustrie. Aber es ist vollkommen unwichtig, wie logisch das gezeigte letztlich ist, wenn die Glaubwürdigkeit stimmt. Und in der Hinsicht habe ich Interstellar nichts vorzuwerfen.

Es ist ein klassischer Film, der einen relativ komplizierten Vorgang auf eine relativ simple Weise veranschaulicht. Die Vergleiche mit 2001, die ebenfalls die Runde im Internet machen, stimmen deshalb nur bedingt: Manche Szenen und Ereignisse in Interstellar erinnern in der Tat fatal an Kubricks Klassiker, aber sie hinterlassen bei weitem nicht die gleiche Ambivalenz. Der rudimentäre Handlungsverlauf ist klar erkennbar und von Anfang bis Ende leicht nachvollziehbar. Erst im Detail betrachtet bleiben viele Fragen offen, was aber in meinen Augen auch völlig o.k. ist. Denn so bleibt genügend Spielraum für ein weiteres Anschauen und nicht zuletzt für die eigenen Träume, die dieser Film eindeutig anregen will.

Christopher Nolan ist deshalb in meinen Augen eine grandiose Gratwanderung gelungen, gestützt von einem starken Schauspielerensemble, einer brillanten Kameraarbeit und perfekten Tontechnikern. Über all dem thront die majestätische Musik eines Hans Zimmers, die ohne jeden Zweifel zu seinen besten Werken gehört. Der Mann war schon immer dann am besten, wenn er mit seinen minutenlangen Suites eine immer mächtiger werdende Steigerung vollbrachte. Doch für Interstellar hat Zimmer ein Instrument aus dem Schrank gepackt, das seinem Stil einen satten Kick nach vorne gibt: die Orgel. Allein das Hauptthema ist gigantisch und symbolisiert die pure Größe, die hinter dem Film steckt.

Hype ist nie gut, auch nicht für einen Film wie Interstellar. Wer nach meiner Einleitung instinktiv dachte, ich wäre ihm erlegen und nun enttäuscht, der irrt gewaltig. Es ist einfach so derart selten geworden, sich treiben zu lassen und ohne großes Nachdenken das anzunehmen, was man gegeben bekommt. Und allein weil Christopher Nolan mir dieses Gefühl vermittelt hat, muss er verdammt nochmal was richtig gemacht haben.