Quo vadis, Oscar?

Eigentlich kann ich mir diesen Blogeintrag sparen – es wird eh niemand wirklich interessieren. Es geht nämlich um die Oscars und deren mutmaßlich einschneidenden Veränderungen, die heute vom “Board of Governors” beschlossen wurden. Sie sollen gegen die „schwindenden“ Zuschauerzahlen der letzten Jahre entgegen steuern. Doch genau wie alle zuvor getroffenen Veränderungen dieser Art, reagiert man einfach auf unkontrollierbare Trends. Und diesmal läuft man ernsthaft Gefahr, eigentlich funktionierende Mechanismen zu zerstören.

Bislang war mir dies insofern egal, weil ich die Veränderungen größtenteils begrüßte. Die Anzahl der Best Picture-Nominierungen rauf setzen? Klasse! Mehr Frauen und Nicht-Weiße in der Academy? Her damit! Eine Vorauswahl der möglichen Best Original Score Nominierungen? Längst überfällig!

Doch was die Academy heute beschlossen hat, das stößt bislang auf großes Unverständnis. Es geht um die folgenden drei Punkte:

1) Die Oscar-Verleihung wird ab 2020 zwei Wochen früher als gewohnt stattfinden, ergo nicht mehr Ende sondern Anfang/Mitte Februar. Die Idee dahinter: Den Gildenpreisen zuvor kommen und somit wieder für echte Spannung zu sorgen. Das Problem: Die Gilden werden zu 99% darauf reagieren und ebenfalls ihre Awardshow vorziehen – weil sie nämlich sonst völlig in die Bedeutungslosigkeit fallen. Das Resultat: Es wird sich nichts ändern, außer dass die Oscar-Wähler weniger Zeit für ihre Entscheidung haben und somit erst recht auf andere Preise schielen, damit man wenigsten überhaupt ‘ne Meinung hat.

2) Die Oscar-Verleihung soll künftig strikt auf drei Stunden begrenzt sein. Dieses Vorhaben ist ambitioniert und kommt natürlich nicht ohne Opfer. So werde man „weniger wichtige“ Kategorien nicht mehr Live verkünden, sondern während der Werbeunterbrechung abhaken und nachträglich in einer Zusammenfassung präsentieren.

3) Es soll eine neue Kategorie geben. Der Originalwortlaut der Academy lautet “We will create a new category for outstanding achievement in popular film. Eligibility requirements and other key details will be forthcoming.”.

Auf den ersten der drei genannten Punkte bin ich schon eingegangen, zudem er am wenigsten „schlimm“ ist. Es wird aber eben nicht das eigentliche Problem lösen und im schlechtesten Fall dafür sorgen, dass nun spät veröffentlichte Filme noch weniger Chancen auf einen Sieg haben. Dazu muss der Laie wissen: Früher wurden die Oscars im März ausgestrahlt. Seit man den Termin auf Ende Februar gelegt hat, hat so gut wie kein im Dezember veröffentliche Film großartig etwas gewonnen. Genau genommen hat’s in der Kategorie Best Picture nur einer geschafft: Clint Eastwoods Million Dollar Baby.

Bereits der zweite Punkt ist eine schallende Ohrfeige für Oscar-Fans und Filmliebhaber. Nathaniel Rogers von The Film Experience trifft es auf den Punkt: Die Oscar-Verleihung ist ein Event. Sie hat treue Fans, die jede Kategorie leben. Bereits das Aussondern der Ehrenoscars sorgte leicht für Missmut. Aber nun eine solche Selektion? Keiner weiß bislang, welche Kategorien es betrifft. Sound? Make-up? Musik? Ausstattung? Kamera? Filmschnitt?? Drehbuch??? Es ist zu befürchten, dass die Wichtigkeit anhand der nominierten Namen festgemacht wird – und die einzig wirklich unter Oscar-Fans umstrittene Kategorie, nämlich Best Original Song, in jedem Fall ausgestrahlt bleibt.

Doch natürlich ist der Aufschrei bezüglich “Best Popular Picture” am größten. Seit Jahrzehnten gibt es solche Vorschläge und jedes Mal wurden sie zurecht mühselig belächelt. Die Sache hat nämlich einen gewaltigen Haken: Die Oscars ist kein Popularitätswettbewerb, kein MTV Movie Award. War es nie und sollte es auch nie sein. Es geht um Filmkunst, bewusst gewählt und vergeben von der Branche selbst. Manchmal ist die Entscheidung politisch, ab und an hat ein Kandidat keine Chance weil er „unbeliebt“ ist. Aber öfters als viele glauben steckt hinter der Auszeichnung viel Wert und viel Leidenschaft. Fragt mal die Jungs von Moonlight.

Was sämtliche Oscar-Watcher höchst verunsichert: Was heißt überhaupt “Outstanding achievement in popular film”? Wie werden die Nominierungen bestimmt? Gibt es dafür Richtlinien, die sich beispielsweise die Einspielergebnisse beziehen? Falls ja: Wird dann nur die Kasse in Amerika oder weltweit gezählt?

Eines ist klar: Die Academy sollte besser nicht die Academy-Wähler an die Stimmzettel lassen! Die werden den Kram Boykottieren bis zum geht nicht mehr und trotzdem kein Wonder-Woman oder Hang-Over nominieren. Muss also ein spezielles Gremium her? Oder soll das „Volk“ entscheiden? Welches? Das amerikanische? Weltweit? Darf ich vielleicht auch mitmachen?

Abseits von all diesen Fragezeichen, unter denen sich bislang niemand eine befriedigende Antwort vorstellen kann, sind sich viele Experten einig: Die Gefahr ist enorm, dass mit diesem Award großartige und zugleich populäre Filme aus der Best-Picture-Schiene verschwinden. Herr der Ringe, Avatar, Mad Max: Fury Road in jedem Fall. Vermutlich Gladiator, Rocky, Titanic. Am Ende gar French Connection, Zauberer von Oz, Gravity

Wo sich ebenfalls jeder zweite Oscar-Watcher einig ist: Der ganze Zug stinkt nach einer Präventivmaßnahme, um ein zweites Dark-Knight-Debakel zu verhindern. Der Film wurde 2008/09 nicht nominiert, weshalb man auf die 10-Best-Picture-Idee kam. Wie gesagt: Das war in meinen Augen kein übler Schachzug und hat Filmen wie Avatar, Inception oder Get Out den Platz gesichert.

Nun steht Black Panther auf Lauerstellung, dessen Metacritic-Schnitt sogar höher als der von Nolans Batman liegt. Mit “Best Popular Picture” dürfte Black Panther drin sein und eventuell sogar gewinnen (je nachdem, wer letztlich das Sagen hat…). Aber genau so nimmt man Ryan Cooglers Ausnahmefilm die Chance, der erste „Best-Picture“-nominierte Superheldenfilm zu sein. Denn wieso sollte der Academy-Wähler ihn jetzt dort noch eintragen, wenn er seine “eigene” Kategorie hat?

Die Acadamy denkt, dass sie mit diesen Maßnahmen mehr Einschaltquoten erhalten. Das ist ein Trugschluss: Der vorgezogene Termin wird von den Gilden die entsprechende Antwort erhalten. Die auf drei Stunden gestutzte Veranstaltung dürfte für den “Laien” immer noch zu lang sein, um wirklich Interesse zu wecken. Und dieser eine Best-Popular-Picture-Award wird ebenfalls zu wenig sein, um nun Fans von Kinoblockbustern zum Einschalten zu bewegen – oder dürfen die dann nach fünf Minuten ausschalten?

Ohne jeden Zweifel: Die Oscars sind immer dann recht beliebt, wenn erfolgreiche Filme groß dabei sind. Siehe Titanic, siehe Gladiator, siehe Avatar. Und das wird auch so bleiben, weshalb die Einschaltquoten mal rauf, mal runter gehen. Der letzt- und diesjährige Einbruch kam eher durch einen anderen Faktor zustande: die politische Zweiteilung der USA. Natürlich finde ich persönlich es grandios, wenn Hollywood & Co. fleißig gegen Trump wettern. Aber damit vergrault man eben dessen Anhänger, womit auch andere Shows dieser Art derzeit kämpfen. Das ist ein Dilemma ganz anderer Natur, gegen das Oscar nichts ausrichten kann (oder besser sollte).

Die beschlossenen Veränderungen werden letztlich nur eines bewirken: Sie schaden jenen, die sich WIRKLICH für die Oscars interessieren. Und die fühlen sich zurecht in ihrer Leidenschaft verraten.


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