The Shape of Water

Pan’s Laybrinth ist meines Erachtens einer der besten Filme, über die ich mich je aufgeregt habe. Auf der einen Seite erzählt er diese wundervolle Mixtur aus harter Realität und verträumter Parabel, wunderschön gefilmt, herrlich geschrieben und mit einem Ende, das mich emotional fertig macht. Auf der anderen Seite zeigt Regisseur Guillermo Del Toro in einer Szene, wie der Antagonist einem unschuldigen Mann die Nase zertrümmert – mit all seinen blutigen Details. Selten habe ich mich so sehr über eine Szene beschwert, weil sie aufgrund ihrer überzogenen Gewaltdarstellung nicht passt.

Wir schreiben das Jahr 1962: Elisa Esposito ist seit ihrer Geburt stumm (jedoch nicht taub) und lebt gemeinsam mit ihrem alten, homosexuellen Nachbarn Giles in einem Apartment oberhalb eines verschlafenen Kinos. Sie arbeitet als Putzhilfe in einem von der Regierung geführten Labor, in dem offensichtlich einige streng geheime Projekte laufen.

Eines Tages wird ein großer, mit Dreckwasser gefüllter Kessel geliefert. Elisa legt nur kurz ihre Hand auf das Glasfenster, als plötzlich die Flosse einer Fischkreatur von der anderen Seite dagegen schlägt. Die Regierung hat die Kreatur gefangen und möchte mit ihrer Hilfe Erkenntnisse für ihr Raumfahrtprogramm zu gewinnen.

Die Fischkreatur ähnelt von der Größe und der Statue einem Menschen und wurde von den Eingeborenen, in deren Nähe sie gelebt hat, wie eine Gottheit verehrt. Doch im Labor ist sie nicht mehr als eine Objektstudie, die vor allem von der brutalen Herangehensweise des Sicherheitsbeamten Richard Strickland leidet. Der nutzt nur allzu gerne seinen langen, schwarzen, elektrisch geladenen Schlagstock und sieht die Kreatur als ein niederes Wesen ohne eigene Rechte.

Elisa wiederum ist sichtlich fasziniert und freundet sich mit der Kreatur an. Sie bringt ihm regelmäßig etwas zu essen und spielt gar Musik auf ihrem tragbaren Plattenspieler vor. Die Faszination stößt rasch auf gegenseitiges Interesse und mündet gar in einer Verliebtheit. Das beide einer anderen Spezies angehören, ist unwichtig. Wichtig ist, dass sie der gleichen Natur zu entstammen scheinen.

The Shape of Water ist ein modernes Märchen für Erwachsene, wie es im Bilderbuch steht. Die Handschrift von Regisseur Guillermo Del Toro ist unverkennbar, speziell wenn man sie mit Pan’s Labyrinth vergleicht. Die Kulisse ist ausschweifend, die Farben sowohl kräftig als auch kontrastreich und einzelne Szenen gehören für ihre Bildkomposition eingerahmt. Dabei übertreibt es Del Toro niemals und beschränkt sich auf eine Handvoll magische Momente, die dafür umso prächtiger wirken. Er schielt kräftig in Richtung Terry Gilliam sowie Jean-Pierre Jeunet und bastelt am Ende doch etwas eigenständiges.

Insofern ist es wenig verwunderlich, wieso The Shape of Water als einer der Favoriten für die morgige Oscar-Verleihung gilt. Um genau zu sein wäre es eine nachträgliche Ehre für Filme wie Brazil, Die fabelhafte Welt der Amelié oder eben Pan’s Labyrinth.

Hinzu kommt ein Schauspieler-Ensemble, das für solch ein bildgewaltiges Werk erstaunlich viel Platz eingeräumt wird. Sowohl die Haupt- als auch die wichtigsten Nebendarsteller sind mehr als schnöde Marionetten und zeigen, dass auch ein Film wie The Shape of Water nur mit ganz viel Schauspielkunst funktioniert. Kein Wunder also, wenn mit Sally Hawkins als Elisa, Octavia Spencer als ihre Kollegin und Richard Jenkins als ihr Nachbar Giles gleich drei Schauspieler nominiert sind – und Michael Shannon als fieser Bösewicht sicherlich nach dran war.

Und doch glaube ich nicht so recht an einen Best-Picture-Sieg, eben weil The Shape of Water eine Zielgruppe anspricht, die mit der Academy bislang nicht viel gemeinsam hat. Die besagten Vorbilder sind zu ihrer Zeit entweder leer ausgegangen oder wurden allenfalls unter Wert mit ein paar technischen Oscars abgespeist. In dem Zusammenhang ist es kein gutes Zeichen, dass The Shape of Water trotz aller Leistungen keine Screen-Actor-Nominierung für das beste Schauspieler-Ensemble erhalten hat – was statistisch gesehen eine Katastrophe bezüglich der Oscar-Chancen ist (fragt La La Land…).

Meine Zweifel mögen mit den persönlichen Vorurteilen gegenüber Guillermo Del Toro zusammenhängen, der mich abermals genau wie in Pan’s Labyrinth mit seinen visionären Bildern zu 95% in den Bann zieht und dann mit ein, zwei Szenen auf die Palme bekommt. Damals wie heute beziehe ich mich auf unnötige Gewaltdarstellung, gleichwohl die betreffenden Stellen in The Shape of Water zumindest schneller vorbei sind und Del Toro keine Nase über mehrere Sekunden zertrümmern lässt.

Versteht mich nicht falsch: Natürlich gibt es viel brutalere Filme, in denen deutlich mehr Blut und Gewalt gezeigt wird, und die ich als herausragend bezeichne. Aber hier passen die Szenen für meine Begriffe weder in den realen Kontext der Geschichte noch in das märchenhafte Ambiente. Aus dem Grund ist Guillermo Del Toro für mich persönlich das Schlusslicht unter den fünf nominierten Regisseuren, obwohl er dank bereits eingefahrenen Siegen bei den Golden Globes, dem Critics Choice oder dem Director Guild Award der haushohe Favorit für den Sieg ist.

Klammere ich diese persönlichen Vorbehalte aus, dann bleibt eine im Kern schlichte, jedoch dank stimmig geschriebener Dialoge sowie toll inszenierter Bilder traumhafte Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem Fisch, unterstützt von Alexandre Desplats herrlicher Musik. In gewisser Hinsicht gönne ich The Shape of Water den Best-Picture-Oscar, eben gerade weil er nicht in das übliche Muster hineinpasst. Und ich endlich diese Scheiß Screen-Actor-Ensemble-Statistik sterben sehen will.

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin (Sally Hawkins), Bester Nebendarsteller (Richard Jenkins), Beste Nebendarstellerin (Octavia Spencer), Bestes Originaldrehbuch, Bester Filmschnitt, Bester Tonschnitt, Beste Tonabmischung, Beste Musik, Beste Kamera, Bestes Produktionsdesign, Beste Kostüme.