Kritik: Captain Phillips

Tom Hanks, ein Superstar, der jeden Oscar kriegt, den er haben mag: Was hat sich dieser Mann seit den 1980er Jahren verändert, als er von einer leichten Komödie zur anderen stolperte (Splash, Geschenkt ist noch zu teuer, Scott & Huutsch) und selbst bei seiner ersten Best-Actor-Nominierung ein Kind im Körper eines erwachsenen Mannes spielte (The Big). Es folgten mit Philadelphia sowie Forrest Gump zwei direkt aufeinanderfolgende Siege, seine letzte Oscar-Nominierung heimste er anno 2000 mit Castaway ein. Danach stapfte er in die Fußstapfen von Steven Spielberg und widmete sich als Produzent plus Regisseur episch angelegter TV-Miniserien (Band of Brothers, The Pacific).

2013 sollte sein Comeback-Jahr als seriöser Schauspieler werden: Zuerst bei den Tonys für das Theaterstück Lucky Guy registriert, waren sich alle Experten einig, dass Tom Hanks dank Captain Phillips und Saving Mr. Banks auch mal wieder zu den Academy Awards gehen darf. Doch dann kam am 16. Januar alles anders: Hanks wurde komplett ignoriert und auch darüber hinaus erhielten “seine“ beiden betreffenden Filme einige Dämpfer, was ihre Oscar-Chancen anbelangten.

Captain Phillips erzählt die wahre Geschichte von Captain Richard Phillips (eben gespielt von Tom Hanks) – oder besser gesagt jene, die der besagte Mann gemeinsam mit Autor Stephan Talty zu Papier brachte und Drehbuchautor Billy Ray für die Kinoleinwand adaptierte. Demnach war Phillips Kapitän der MV Maersk Alabama, einem Containerschiff, das im April 2009 von vier somalischen Piraten geentert wurde. Trotz diverser Abwehrmaßnahmen gelangt das Quartett an Bord und hält die Crew mit Waffengewalt in Schach. Anführer Muse (Barkhad Abdi) lehnt ein Angebot seitens Phillips ab, mit 30.000 Dollar Bargeld einfach zu verschwinden. Er spekuliert vielmehr damit, die Crew als Geiseln zu halten und mehrere Millionen Lösegeld zu erpressen.

Ich möchte nicht darüber diskutieren, ob all das Gesehene wirklich so passiert ist, wie es der Film schildert – das ist nicht meine Aufgabe als Kritiker, der das Kino primär als Unterhaltung und weniger als Geschichtsstunde betrachtet. Fakt ist: Regisseur Paul Greengrass nutzt den durchaus interessanten Stoff für einen packenden Action-Thriller, der euch das Geschehen auf eine halbwegs glaubwürdige Art vermittelt. Besonders gelungen sind der Anfang und das Ende: Sowohl die Entwicklung, wie die Piraten auf die MV Maersk Alabama gelangen konnten, als auch die finale Rettungsaktion zeigen Greengrass Können, Ereignisse dieser Art perfekt zu timen. Er erhält dabei Hilfe von seinem Stammcutter Chistropher Rouse, der wie in Flug 93 oder Das Bourne Ultimatum hunderte sekundenlanger Schnipsel zu einem flott geschnittenen Werk vereint.

Keine Frage: Handwerklich betrachtet macht Captain Phillips wenig falsch, doch trotzdem droht er phasenweise im Mittelmaß zu versickern. Die Szenen gegen Ende ziehen sich ungeachtet der schnellen Schnitte wie Kaugummi und so mancher Einzeiler kriecht aus der untersten Phrasendrescherkiste. In meinen Augen liegt die Schuld vornehmlich an Billy Rays Drehbuch, der es nicht schafft, die Spannung von Anfang bis Ende aufrecht zu erhalten.

Wie oben angedeutet gehörte Captain Phillips zu den Verlieren am Oscar-Nominierungsmorgen. Zwar gab es Erwähnungen in den Kategorien für den besten Film, den besten Schnitt oder Barkhad Abdi als besten Nebendarsteller, aber sowohl Greengrass als Regisseur als auch Hanks als Hauptdarsteller wurden eben nicht genannt. Ersteres kommt meines Erachtens wenig überraschend, denn die Regie ist zwar gut, aber nicht außergewöhnlich. Der inhaltlich zähe Mittelteil geht letztlich auch auf Greengrass Konto, weil er mir keinen Ausgleich für die drögen Drehbuchpassagen bietet, der mich bei der Stange halten könnte.

Tom Hanks wiederum ist eine andere Geschichte: Auch er liefert über weite Strecken eine eher solide Leistung ab, gewinnt jedoch in den letzten fünf Minuten immens an Kraft. Allein in der finalen Schlüsselszene des Filmes zeigt Hanks innerhalb eines simplen Dialogs, warum er zur Elite Hollywoods gehört. Offensichtlich war das den Academy-Wählern zu wenig, gerade im Vergleich zur diesjährigen, unbarmherzigen Konkurrenz, nach der eben irgendein sicher geglaubter nominierter Schauspieler über Bord fallen würde. Frei nach dem Motto: Wo nur fünf Platze frei sind, da passen keine sechs Männer rein… und zählt man noch Robert Redfords One-Man-Show All is Lost hinzu, dann waren es sogar sieben Top-Kandidaten, die allesamt in einem schwächeren Jahrgang Chancen auf einen Sieg gehabt hätten.

Das vielleicht größte Problem von Captain Phillips ist die Austauschbarkeit: Im Gegensatz zu den anderen Best-Picture-Kandidaten gibt es kaum etwas, was irgendwie frisch oder gar innovativ wirkt. Selbst Dallas Buyers Club hat mich mehr “überrascht“ und sei es nur deshalb, weil ich von den dort dominierenden Schauspielern niemals eine Leistung auf dem Niveau erwartet hätte. Paul Greengrass wiederum hat ein solides bis sehr gutes Drama gedreht, aber so gut wie kein Neuland gewagt. Selbst der fabelhafte Filmschnitt, der mit großer Wahrscheinlichkeit den Oscar gewinnen wird, stellt streng genommen keine außergewöhnliche Besonderheit dar, einfach weil Christopher Rouse altbekannten Mechanismen folgt.

Auf lange Sicht wird der Film mutmaßlich nur in einer Hinsicht in Erinnerung bleiben und zwar wegen Barkhad Abdi. Es ist die typische “vom Tellerwäscher zum Millionär“ Nummer, nur das hier ein Somali, der bereits seit geraumer Zeit in den USA lebte, seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer verdiente, plötzlich einen der markantesten Antagonisten der Saison spielt und folgerichtig bei den Oscars mit dabei sein darf. Die eigentliche Überraschung hierbei ist: Viele “Experten“ mutmaßten, Abdi würde aufgrund des allgemeinen Beliebtheitsgrades von Captain Phillips mit auf das Award-Boot gezogen. Doch nun sitzt er da “alleine“, ohne die zugkräftigen Namen Hanks sowie Greengrass, und zeigt ganz unabhängig von seiner Rolle als Geiselnehmer, dass er dem großen, versierten Tom Paroli bieten kann. Sein eindringliches “Look at me… I’m the captain now!“ gewinnt damit eine (wenn auch ungewollte) Mehrdeutung, die Abdi hoffentlich eine erfolgreiche Karriere bescheren wird.

Anmerkung: Captain Phillips lief bereits vor einigen Monaten in den hiesigen Kinos, diese Kritik dient demnach der Vollständigkeit in Anbetracht der kommenden Oscarverleihung. Wer jedoch den Film trotzdem hier und heute sehen möchte, der kann seine Kreditkarte zücken und das Werk über diverse englische Händler importieren. 

Oscar nominiert für: Bester Film, Bester Nebendarsteller (Barkhad Abdi), Bestes Drehbuch (adaptiert), Bester Filmschnitt, Bester Ton, Bester Tonschnitt.