Chrono Cinematica

Videospielmusik hat einen langen und faszinierenden Weg hinter sich. Ich persönlich gehöre zu den wenigen Außerwählten, die nahezu jede Evolutionsstufe live mit erleben durften. Beginnend mit dem SID-Chip des C64 bis zum Einsatz eines vollwertigen Orchesters hat kaum eine Stilrichtung derart viele Facetten durchgemacht. Wo anfangs noch viel von “realer” Musik geklaut, inspiriert oder angelehnt war, hat sich im Laufe der letzten dreißig Jahre etwas “eigenständiges” entwickelt.

Einer der faszinierendsten Aspekte ist der Kult des Arrangieren, was so viel bedeutet wie: eine bereits existierende Musik mit anderen Instrumenten, Techniken oder Methoden zu adaptieren. Das gibt es zwar auch im Mainstreambereich, dort jedoch bei Weitem nicht so exzessiv. Kein Wunder: So toll die vielen Soundtracks der 1980er und 1990er Jahre auch waren, so litten sie unter den Einschränkungen der gegebenen Hardware. Selbst bei modernen Scores lohnt sich eine Neuinterpretation, um aus dem dynamischen Erlebnis ein greifbares Hörvergnügen extra für das Ohr zu gestalten.

Ich habe im Laufe meiner Jahre unzählige Soundtracks gehört. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass es es kaum eine Seele gibt, die sich mehr mit diesem Thema beschäftigt hat. Demzufolgende sind mir auch viele Arrangements untergekommen. Manche davon stammen vom Originalkünstler, andere entstanden unter viel Aufwand und mithilfer versierter Profis. Mit Chris Abbotts Back in Time ist aber noch eine andere Gattung enstanden: die des Fan-Arrangements.

Dahinter steckt meist ein einzelner Fan, der in seinem stillen Kämmerlein und voller Enthusiasmus ans Werk geht. Er bedient sich an den wenigen Mitteln, die er hat, und steckt in jedem Fall viel Herzblut in seine ganz eigene Bearbeitung seiner absoluten Lieblingsmusik. Das Ergebnis ist in aller Regel frei von jeglicher Profitgier und wird dank YouTube, SoundCloud & Co. in die große, weite Welt getragen.

Um ehrlich zu sein sind 90% dieser Fan-Arrangements im besten Fall ambitioniert. Man merkt einfach, dass dahinter ein billiger Synthesizer, ein 08/15-Soundtracker und wenig musikalische Ausbildung steckt. Es klingt zu billig, zu überzogen, zu künstlich, zu schrill, zu laut, zu wirr, zu überladen, zu einfach, zu komplex – die Möglichkeiten des Fehlgriffs sind unendlich.

Ich bin wie so oft in solchen Dingen per Zufall auf Sam Dillard gestoßen. Er versprach in einer Kickstarter-Kampagne ein orchestrales Arrangement von Yasunori Mitsudas Chrono Trigger, einem der besten Soundtracks aller Zeiten. Natürlich müsse man “orchestral” in Anführungszeichen schreiben, denn Dillard stehe kein Orchester zur Verfügung. Er habe nur ein Roland-Keyboard, ein hochwertigse Musikprogramm und einen selbst gebauten PC.

Es gibt einige solcher orchestralen Nachbearbeitungen, die zunächst vielvesprechend klingen – man höre beispielsweise die Arbeiten von Blake Robinson. Doch es braucht keine Minute, bis der Zauber zerfällt. Selbst ein auf YouTube von vielen Usern hochgelobtes “Dancing Mad”-Arrangement klingt am Anfang noch erstaunlich wuchtig, nur um am Ende in einem Chaos voller viel zu laut aufgedrehter Instrumente zu versinken – zudem man nach ein paar Minuten merkt, dass sie immer gleich klingen und eben doch “nur” ein hochwertiger Synthesizer dahintersteckt.

Dillard wollte das gleiche mit Chrono Trigger versuchen und… ich zögerte. Sollte ich dafür wirklich Geld ausgeben, dass auch noch im Vorfeld? Für 50 Euro gebe es eine echte CD, zusammen mit dem Vorgängerprojekt Metroid Cinematica. “Aha!”, dachte ich mir – der gute Mann hat sowas immerhin schon mal gemacht. Nun, trotzdem: Meine Finanzen hochgerechnet entschied ich mich für ein “Muss nicht sein”. Wenn es am Ende wirklich gut sei, dann reiche auch ein MP3-Album.

Nur wenige Tage nach Ende der Kickstarter-Kampagne stieß ich via Spotify auf Metroid Cinematica. Na gut, hören wir es uns mal an… und danach wurde ich leicht panisch.

Das, was ich da hörte, war dramatisch besser als alles andere, was je aus einem Synthesizer gekrochen kam. Stellenweise wirkte das Ergebnis beängstigend nahe an der Realität – und ganz davon abgesehen war das Album keine billige 1:1 Adaption der Originalmusik. Dillard schrieb vielmehr eine 80 minütige Symphonie rund um das Metroid-Universum, mit fantastischen Überleitungen und grandiosen Wechseln.

Das Wörtchen Cinematica ist für Sam Dillard kein Füllwort. Metroid Cinematica hört sich nicht wie ein Soundtrack aus einem Spiel an sondern erinnert tatsächlich an einen vollwertigen wie hochprofessionellen Filmscore.

Wie gesagt: Ich wurde panisch. Oder besser gesagt: Ich habe mich geärgert, die Gelegenheit einer echten CD von diesem Genie verpasst zu haben. Doch zum Glück (!) verschätzte sich Dillard: Er brauchte ein paar Wochen mehr für die Fertigstellung von Chrono Cinematica wie geplant und bot via PayPal eine nachträgliche Option an, doch noch an das CD-Set zu gelangen. Schwein gehabt.

Vor anderthalb Monaten ging das Album an alle Kickstarter-Backer und PayPal-Zahler im MP3-Format raus. Just vor ein paar Tagen war der offizielle Release. Lasst alles stehen und liegen. Hört es euch auf Spotify an. Gebt diese mickrigen 10 Dollar aus. Chrono Cinematica ist ein Traum.

Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat. Sam Dillard hat auf nicht mal 80 Minuten gut 2/3 des gesamten Scores gepresst, ohne das es sich überhastet oder störend gekürzt anhört. Er deckt nahezu jedes relevante Thema ab und vermengt sie in ein einheitliches Gesamtbild, dass von Anfang bis Ende nicht harmonischer fließen könnte.

Die Arrangements sind absolute Weltklasse. Dillard wählt genau die richtige Instrumente, die richtige Lautstärke und die korrekte Abmischung. Er kombiniert auf eine meisterhafte Weise Musikstücke in ein Paket, so als ob sie auch im Spiel schon immer eine Einheit gebildet hätten. Ich kenne mit Verlaub nur zwei Arrangeure, die das ähnlich gut hinkriegen: Roger Wanamo und Jonne Valtonen.

Allein die Kombination aus Tyran Castle und Lavos Theme ist schier brillant. Onward to Adventure umfasst alle Melodien aus dem Mittelalter, in Joints of Metal kommen ein Großteil der Kampfthemen zum Einsatz und Changing History behandelt den Steizeitpart. Jedes Medley funktioniert sowohl für sich als auch im Gesamtkontext betrachtet.

Und dann sind da mitten drin zwei Musikstücke, die gesondert auffallen. Sie folgen unmittelbar hineinander: Yearning Hope ist eine Adaption von Wind Scene, Little Green Hero behandelt Frogs Theme. Es ist der Moment wo aus dem puren Staunen, wie Dillard dieses Werk praktisch im Alleingang vollenden konnte, etwas viel Tiefgreifenderes wird. Man merkt, dass ihm diese beiden Stücke unheimlich wichtig waren. Sam Dillard zeigt, dass er nicht nur einfach schnöde adaptieren kann: Er kann jonglieren, er kann spielen und er kann zu Tränen rühren.

Chrono Cinemetica ist ohne jeden Zweifel das beste Fan-Arrangement auf Gottes weiter Erde. Darüber diskutier ich auch gar nicht. Selbst im Bereich der professionellen Adaption gibt es für meine Begriffe nur ein Team, dass mit diesem Meisterwerk mithalten kann. Die Rede ist natürlich von Symphonic Shades, Symphonic Fantasies, Final Symphony, etc. Aber ich getraue mich nicht, hier eine Rangreihenfolge zu machen. Und mir komme keiner mit Video Games Live: Deren uninspirierte Art hat absolut keine Chance gegen diese liebevolle wie spektakuläre Interpretation von Chrono Trigger.