Undertale

UndertaleHersteller: tobyfox
Created by: Toby Fox
Composer: Toby Fox
System: PC
Jahr: 2015

Undertale sieht aus wie der letzte Rotz. Ehrlich: Die Grafik ist auf Super Nintendo Technik getrimmt und hält farbtechnisch gerade mal NES-Niveau. Die Spielfigur könnte von einem Dreijährigen gezeichnet sein, die Perspektiven stimmen hinten und vorne nicht und ein Großteil der Gegner ist in Schwarz-Weiß gehalten sowie mies animiert

Eine piepsige Musik und eine 08/15-Story machen es auch nicht besser: Die Monster haben den Krieg gegen die Menschheit verloren und wurden in den Untergrund verbannt. Blöd nur, wenn es immer noch Zugänge gibt, die nur in eine Richtung funktionieren. So stolpert ihr bei einer Erkundungstour in ein Loch und findet euch plötzlich wieder in einer Welt voller Monster und Mutanten.

Doch keine Bange: Undertale möchte euch nicht stressen. Ihr begegnet einer freundlichen Kreatur namens Toriel, die euch vor den bösen Angriffen einer heimtückischen Blume (!) beschützt, danach regelrecht an die Hand nimmt und durch die ersten Rätsel geleitet. Die bestehen eh nur aus simplen Knöpfchengedrücke, aus Angst, dass ihr was falsch machen könntet.

Noch putziger wird es, wenn sie euch zum Dummy geleitet: An ihr sollt ihr nicht das Kämpfen üben sondern das Agieren. Ihr könnt den Dummy nämlich nicht nur angreifen, sondern auch mit ihm… reden.

Kurz darauf stoßt ihr auf das nächste Monster, einen mutierten Frosch namens Froggit. Auch den könnt ihr klassisch wie in jedem anderen rundenbasierenden Rollenspiel schnetzeln. Oder… ihr macht ihm… ein Kompliment! Das versteht Froggit zwar nicht, fühlt sich aber trotzdem geschmeichelt, weshalb er nicht mehr weiterkämpfen möchte. Konsequenterweise verschont ihr sein Leben und zieht friedlich von dannen.

Das geht nun das gesamte Spiel so: Jedes Monster lässt sich auf friedliche Weise umstimmen – es dauert halt nur manchmal, bis ihr die richtige Methode herausgefunden habt. Manchmal reicht eine Umarmung, manchmal muss man sein Gegenüber etwas ärgern. Größere Endgegner verlangen viel Geduld, bis ihr sie mürbe gemacht habt. Die glauben erst nach zwanzig, dreißig Zügen, dass ihr sie wirklich nicht schlagen möchtet.

Das Problem: Bis es zum friedlichen Konsens kommt, müsst ihr erst mal deren Angriffe abwehren. Dafür steuert ihr eure Seele in Form eines roten Herzens. Die Spielfläche ist nicht mehr als ein Quadrat oder Rechteck, in dem euch die gegnerischen Attacken um die Ohren fliegen. Manchmal sind es kleine Kugeln, manchmal ähneln sie Speeren und manchmal hüpft ein kleiner, putziger Wau-Wau durch die Gegend.

Werdet ihr getroffen, dann erleidet ihr Schaden. Das Ausweichen mutet zunächst genauso simpel an wie die Grafik, wird aber zunehmend biestiger, erinnert in späteren Gefechten an Bullethell-Shoot’em Ups und birgt vor allem erstaunlich viel Abwechslung. Denn auch hier überrascht euch jeder Gegner mit einer anderen Taktik und neuen Raffinessen. Bei den Endbossen müsst ihr obendrein mit veränderten Spielregeln rechnen.

Nehmen wir mal Papyrus, ein durchgeknalltes Skelett, das unbedingt General werden möchte. Also wartet er auf den nächsten Mensch, der ins Reich der Monster fällt – ergo euch. Während sein Bruder Sans einen platten Witz nach dem anderen reist, ist Papyrus ein sichtlich fehlgeleiteter Bösewicht. Beim unvermeidlichen Gefecht sorgt er dafür, dass ihr eure Seele nicht mehr frei bewegen dürft. Sie lässt sich nur noch am Boden steuern, während ihr per Knopfdruck seinen Attacken ausweicht.

Habt ihr auch ihn mürbe gemacht, dann wird er euer Freund und schlägt euch ein… Date vor! Spätestens hier entfaltet sich der Humor von Undertale, der irgendwo grotesk und irgendwo naiv-putzig rüberkommt. Viele vergleichen Undertale deshalb mit Mother/Earthbound, wobei mir zu meiner Schande jegliche Erfahrung mit der Kultserie fehlt.

Von durchgeknallten Robotern über heroische Monsterritter bis zu König Asgore stolpert ihr durch eine immer faszinierender erscheinende Welt, die ihre eigenen Regeln besitzt und sie ständig über den Haufen wirft. Nichts ist so wie es auf den ersten Blick erscheint – und die einzige Konstante seid letztlich ihr selbst, wenn ihr voll entschlossen den friedlichen Weg beibehaltet.

So entsteht eine enge Bindung zwischen eurem Charakter und den Monstern, was das Finale umso dramatischer erscheinen lässt. Was dort passiert, werde ich natürlich nicht verraten. Nur so viel: Ja, es gibt eine Möglichkeit die Welt der Monster zu verlassen. Aber der Preis ist hoch. Und dann ist da natürlich noch diese heimtückische Blume, die euch am Anfang begegnet ist und aufgrund dessen Undertale verschiedene Meta-Ebenen durchläuft.

In den gut acht Stunden, die ihr für einen normalen Durchlauf benötigt, wird die Grafik immer mehr zur Nebensache. Dafür entwickelt sich die Story dank der brillant geschriebenen Dialoge und den herzallerliebsten Charakteren zu einem ungewöhnlichen wie einmaligen Erlebnis. Getoppt wird das nur noch durch die Musik, die genau wie das Spiel selbst von Entwickler Toby Fox stammt. Auch hier gaukelt er zunächst mit piepsigen Tönen und langweiligen Ambientstücken ein mieses Werk vor, nur um euch bei den Kampfthemen immer wieder aufs Neue zu begeistern.

Plötzlich tönt da nicht nur technisch altkluge Chiptunemukke aus dem Lautsprecher, sondern ein fetziges Schlagzeug, ein leidenschaftliches Klavier oder ein kleines virtuelles Orchester. Die Synthiinstrumente sind teilweise unverschämt gut gewählt und aufeinander abgestimmt. All das gipfelt im Kampfthema gegen König Asgore: Spätestens da sitzt keiner mehr ruhig auf seinem Stuhl.

Wenn ihr Undertale durchgespielt habt, dann gibt es ein paar Tipps, wie ihr eure friedfertige Mission übertreffen und das ultimative Happy-End erreichen könnt. Und wenn ihr auch das geschafft habt, dann denkt ihr euch. „Hm… ich kann die Gegner ja trotz alledem ganz normal angreifen. Was wäre, wenn ich das mal probiere?“.

Nur so viel: Es gibt drei verschiedene Enden und zwei völlig unterschiedliche Wege, wie ihr Undertale spielen könnt. Der zweite Weg erfordert noch mehr Entschlossenheit und gipfelt in einem Endkampf, der in Sachen Schwierigkeitsgrad Dark Souls Veteranen das Fürchten lehrt. Das darauffolgende Ende ist tragisch, brillant, meisterhaft und unglaublich schonungslos. Es gibt in der Tat Spieler, die den einen Weg von Undertale geschafft haben und auf Andeutungen hin, was beim zweiten passieren würde, diesen nie und nimmer bestreiten wollen. Warum? Weil sie mit den Konsequenzen nicht leben könnten.

Kurz: Undertale ist ein Meisterwerk, ohne wenn und aber. Es durchlebt innerhalb von wenigen Stunden eine ungeahnte, noch nie da gewesene Spielspaßevolution. Und es ist der endgültige (!) Beweis, dass Grafik einen Scheiß bedeutet.

Anders ausgedrückt: Undertale ist ein sehr ernst zu nehmender Game of the Year Kandidat, der zurecht derzeit einen Metacritic-Durschnitt von 94 (!) Punkten hat.