Producer Guild Award 2014/2015: Und plötzlich haben wir ein Rennen…

Oscar-Watcher sind ein lustiges Völkchen: Sie klammern sich so verbissen an Statistiken und alte Erfahrungen, dass sie gerade deswegen so gerne oft daneben liegen. Gestern Nacht wurde der Producer Guild Award vergeben, einer der wichtigsten Indikatoren für die anstehende Oscar-Verleihung.

Viele gingen von einem sicheren Sieg für Richard Linklaters Boyhood aus, der sich seit gut einem halben Jahr als versierter Best-Picture-Gewinner anfühlt. Manche prognostizierten The Imitation Game (weil die Thematik die Academy anspreche) oder American Sniper (nur zwei Worte: Clint Eastwood) als “Spoiler“. Aber so gut wie niemand setzte mehr auf den Kandidaten, der noch vor den Golden Globes als der wahre Boyhood-Konkurrent galt. Und der heißt: Birdman!

 

 

Der Sieg von Birdman beim Producer Guild Award besagt schon mal eines aus: Eine von zwei etablierten Statistiken, die regelmäßig von Oscar-Watchern zu Rate gezogen werden, wird am 22. Februar pausieren müssen. Sollte Birdman in der Tat auch bei den Oscars gewinnen, dann wäre es der erste Film seit 34 Jahren (!), der dies ohne eine Nominierung für den Besten Filmschnitt geschafft hat. Sollte er hingegen verlieren, dann wäre es der erste PGA-Sieger in acht Jahren.

Nun denken sich wohl einige von euch: “Die eine Statistik ist doch viel deutlicher als die andere.“ Ja und nein: Natürlich sind 34 Jahre eine echte Hausnummer – aber rein statistisch gesehen reden wir hier von einem Zeitraum, der dazu “verdammt“ ist, mal wieder über Bord geworfen zu werden. Oder glaubt wirklich jemand, dass die Mitglieder der Academy einen Film von Grund auf nicht wählen, nur weil er NICHT für den besten Filmschnitt nominiert wurde?

Für die andere Statistik spricht noch etwas ganz anderes, was rein mathematisch gesehen viel entscheidender ist: Seitdem die Oscars von fünf auf bis zu zehn Best-Picture-Nominierungen gesprungen ist, wird der Sieger durch ein verändertes Wahlsystem ermittelt. Während zuvor jeder einfach einen Sieger getippt hat und am Ende geschaut wurde, wer die meisten Stimmen erhalten hat, muss seit der besagten Umstellung jeder Wähler eine Rangliste der Nominierten aufstellen.

Daraufhin folgt eine etwas kompliziertere Auszählung: Sämtliche Ranglisten werden nach ihren jeweiligen Erstplatzierungen sortiert und entsprechend gestapelt. Am Ende wird der kleinste Stapel genommen, der logischerweise den Film repräsentiert, der am WENIGSTEN auf Platz 1 gewählt wurde. Während der betreffende Film komplett “gestrichen“ wird, schaut man sich nun die Kandidaten auf den zweiten Plätzen an und legt sie zu ihren jeweiligen Stapeln mit den Erstplatzierungen. Danach wird der nächste Film mit dem kleinsten Stapel disqualifiziert, man sortiert die betreffenden Zettel nach ihren Drittplatzierungen neu, usw. Das macht man so lange, bis ein Film mehr als 50% aller Stimmen hat.

Die Idee dahinter ist simpel und logisch: Bei fünf Kandidaten reichte es nach dem alten System aus, wenn ein Film mehr als 20% aller Stimmen erhielt – was schon eine ordentliche Prozentzahl ist. Bei zehn Kandidaten jedoch reduzierte sich das Minimum auf 10% – und das war der Academy zu wenig, um einen eindeutigen Sieger küren zu wollen, mit dem dann auch ein GROßTEIL der Mitglieder einverstanden wäre. Also hat man das System so umgestellt, dass nicht mehr der Film mit den meisten Erststimmen, sondern der Film, der im direkten VERGLEICH mit allen ANDEREN Filmen am besten dasteht.

Und nun kommt der Knackpunkt: Die einzige Verleihung, die abseits der Oscars das gleiche Wahlsystem eingeführt hat, ist dieser vermaledeite Producer Guild Award! Und der hat seit der Umstellung JEDES MAL richtig gelegen. Wobei ich noch gleich hinterher sagen muss: Letztes Jahr gab es eine krasse Situation, dank der zwei Filme aufgrund eines mathematisch gesehen nahezu unmöglichen Falles die gleiche Menge an Stimmen erhielten und somit BEIDE zum Sieger gekürt wurden. D.h. wenn da nur ein einziger Wähler mehr (von mehreren tausend (!)) auf seinem Stimmzettel Gravity über 12 Years a Slave gesetzt hätte, dann wäre die Statistik bereits letztes Jahr gebrochen gewesen.

Heute Nacht kommt ein weiterer, wichtiger Indikator ins Spiel: Der Screen Actor wird vergeben, unter anderem an den Film mit dem besten Ensemble. Dieser Preis ist zwar bei Weitem nicht so vorhersagend, aber dort wählen genau die Branchenmitglieder, die bei den Academy Awards den größten Block repräsentieren: die Schauspieler. Und sollte dort Birdman hier ebenfalls siegen (wie es bereits vor dem PGA-Sieg einige Oscarwatcher vorhergesagt haben), dann wäre das mehr als ein Zeichen. Schafft es dort Boyhood (was dank des relativ kleinen Ensembles niemand so wirklich erwartet)? Dann ist wieder alles offen. Und sollte es The Grand Budapest Hotel werden (was aufgrund des riesigen Ensembles nicht unwahrscheinlich ist), dann haben wir das interessanteste Oscar-Rennen seit 2006/2007.