OST #1: Turrican II

001-Turrican_2Composer: Chris Hülsbeck
System: Amiga
Year: 1991

Was habt ihr erwartet?

Chris Hülsbeck hatte in den späten 1980er Jahren einen unbeschreiblichen Lauf. Angefangen mit dem Hit Shades und gipfelnd in Turrican leistete der Mann eine Steigerung nach der anderen. Ich war mir 1990 sicher: Das geht kaum besser. Turrican ist nur schwer zu übertreffen. Das ist ein Soundtrack für die Ewigkeit, der klar sagt: Das ist vielleicht das beste, was dieser Komponist je geleistet hat und je leisten wird. Und rein technisch betrachtet wird es sowieso Jahre und mehrere Hardwaregenerationen dauern, bis jemand vorbeizieht.

Ich kann kurz und knapp begründen, warum der Soundtrack von Turrican 2 der „beste aller Zeiten“ ist: Chris benötigte keine Jahre – er brauchte fünf Monate.

Die legendäre Amiga-Messe stand vor der Tür, die erste ihrer Art um genau zu sein. Eines der am meisten erwarteten Events beruhte auf eine Ankündigung seitens Factor 5, man würde eine Demo-Diskette von Turrican 2 verteilen. Für lau, dafür natürlich in limitierter Stückzahl. Der Erfolg der Aktion überrumpelte alle und sorgte aufgrund der ungestümen Fans für zwei (leicht) Verletzte.

Ich hatte Glück – oder besser gesagt einen Vater, der mitten in dem Gerangel plötzlich direkt neben einem der Verteiler stand und somit eine der ersten Disketten ergatterte. Das Lustige daran: Das Spiel selbst interessierte mich gar nicht so sehr. Und bezüglich der Musik hatte ich auch gar nichts „besseres“ erwartet – wie denn auch? Doch bereits dieses eine Stück, das während der Demo lief und später als „The Desert Rocks“ bekannt wurde… meine Güte, das glich einem Quantensprung. Chris Hülsbeck hatte es geschafft: Er hat sein Meisterwerk auf eine noch höhere Ebene gehievt – technisch wie musikalisch.

Der finale Soundtrack sollte nicht enttäuschen und das Versprechen der Demo halten. Allein das Intro ist in jedweder Hinsicht bahnbrechend und kitzelt aus dem Amiga sieben Stimmen in einer glasklaren Tonqualität heraus – ergo fast das doppelte (!), was eigentlich auf der Kiste möglich ist. Zu verdanken ist das Technikwunder im übrigen Jochen Hippel – so viel Ehre muss sein, ihn hier zu erwähnen. Aber bei allem Respekt: Er hat nie wirklich was daraus gemacht. Es brauchte einen Chris Hülsbeck, um eine sagenumwobene Synthi-Pop-Symphonie zu schreiben, welche die Welt in der Größenordnung und in der Klasse auf keinem Computer und aus keiner Konsole gehört hat. Und ja, da gab es bereits das Super Nintendo.

Die erste Welt ist rein musikalisch betrachtet die zugänglichste, weil auch hier Chris seinen aus Turrican etablierten Synthi-Pop-Stil weiterführt. Der Unterschied liegt in der Instrumentation begraben, die dramatisch besser und authentischer klingen. Die zweite Welt ist etwas verträumter und birgt die einzige, minimale Schwäche – denn dort klingt das eine oder andere Leadinstrument einen Tacken zu quäkig beziehungsweise zu künstlich. Gleichwohl überrascht das Spiel mit einer ungewohnten Dynamik, wenn es plötzlich mitten im Level vom kernigen Actionthema zur legendären Ballade „Do the Bath Man“ wechselt. Sie ist bis heute eines der beliebtesten und bekanntesten Stücke, die Chris je komponiert hat. Gleichzeitig beschränkt sich der Meister demnach auch nicht mehr zwingend auf ein Stück pro Levelabschnitt, weshalb Factor 5 mehr als 50 Minuten Musik auf die kleine Diskette quetschen muss.

Doch für mich ist es die dritte Welt, die alles andere in den Schatten stellt. Das erste Levelmusikstück lebt von der besten Instrumentation, die ich je in einem MIDI, MOD- oder Synthi-Werk gehört habe. Es ist das einzige, das ich am besten als „göttlich“ beschreiben kann. Allein die Hall- und Echoeffekte sind der Wahnsinn – und kein Arrangement kommt auch nur im Ansatz an diese Faszination heran. Ja, Mensch, sogar der Titel ist grandios: „Concerto for Laser and Enemies“ – das beste Musikstück, das ich je in einer aktiven Spielszene gehört habe und das drittbeste nach dem Turrican-Thema und dem Abspann von Shadow of the Colossus.

In der vierten Welt konzentriert sich Hülsbeck auf herausragende Schlagzeug-Einlagen, während sich die fünfte thematisch wieder der ersten annähert, ergo den Fokus auf eine peppig-poppige Melodie legt und obendrein das Tempo für das Finale erhöht. Der faszinierende Mix aus Geräuschekulisse und kurzen Musikloops, der in Turrican über eine ganze Welt gestreckt wurde, kommt hier nur in einem Abschnitt zum Zug und ist rein technisch betrachtet ebenfalls deutlich besser.

Das einzige, wo Turrican 2 im Vergleich zum Vorgänger etwas abfällt, ist die Abspannmusik – was primär an der Länge liegt. Denn sie ist zwei Minuten kürzer und wirkt nicht ganz so episch-befriedigend. Aber meine Güte, um es altklug in Punkten auszudrücken: Wir reden hier von einem Unterschied zwischen einer 9 und einer 10…

Es ist für mich schwer vorstellbar, dass diese Leistung jemals getoppt wird. Bei den Filmen hat es sechzehn Jahre gedauert, bis sich meine Nummer 1 geschlagen geben musste. Bezüglich der Spiele kam jüngst ein Ori and the Blind Forest verdammt nahe dran. Und auch meine Soundtrackwelt wurde heftig dank Undertale durchgeschüttelt, das leider aufgrund von Organisationsgründen nicht in meinem Listenprojekt vorkommt. Aber das ist im Prinzip alles egal, denn in Turrican 2 stecken derart viele Aspekte drin, die für mich unverrückbar in Stein gemeißelt sind. Umfang, Technik, Komposition, Instrumentation, Abwechslungsreichtum – all das wurde zu einer Zeit in derart schwindelerregende Höhen gehievt, weshalb moderne Scores kaum eine Chance haben, dagegen anzukämpfen. Denn die müssten eine Technikbarriere brechen, die bereits seit gut fünfzehn Jahren nicht mehr existiert.

Und dann ist da diese lange, ehrliche und tief in mir verankerte Begeisterung und Verbeugung vor einem Komponisten, der mir mit seiner Arbeit wie kein zweiter derart viel Lebensfreunde bereitet hat. Wie soll ich es jemals übers Herz bringen, ihm diesen Status abzuerkennen?

 

 

 

 

 

 

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