OST #52: Tunnel B1

052-Tunnel-B1Composer: Chris Hülsbeck
System: PlayStation, PC
Year: 1996

Es erscheint mir so unwirklich, dass Chris Hülsbeck bereits seit dreißig Jahren Computer- und Videospielmusik komponiert. Kaum ein anderer seiner Zunft hat derart lange „überlebt“ – genau genommen fallen mir nur Koji Kondo und Koichi Sugiyama ein, wobei ersterer allenfalls mal ein, zwei Musikstücke für ein neues Mario ausspuckt und letzterer seit eh und je an Dragon Quest werkelt.

Hülsbeck hat sich hingegen im Laufe von drei Dekaden mehrfach verändert und präsentiert alle paar Jahre einen neuen Stil. Bereits seine Arbeiten für C64- und Amiga unterscheiden sich dramatisch, allein aufgrund ihrer jeweils technisch perfekten Instrumentation.

Zwischen dem Ende der Turrican-Saga und dem Beginn der John-Williams-Phase, in der er sich von Rogue Squadron bis Rebel Strike gekonnt im Star Wars-Universuem austobte, komponierte Hülsbeck drei Soundtracks, davon zwei mit der Unterstützung von Fabian Del Priore und einen, der leider nie veröffentlicht wurde. Sie bilden eine kurze Phase in der Karriere des Altmeisters, in der er seine vergangenen Stärken bezüglich Electronic & Synthi-Musik mit dem Monster der orchestralen Kunst verband.

Tunnel B1 erschien nicht nur als Erstes, sondern räumte gleich den Jackpot ab. Bereits das Intro klingt dank des zackigen Schlagzeuges wie eine kurze, knackige Kampfansage, die euch hoch motiviert ins Spielgeschehen schickt. Auch danach bleiben Schlagzeug und Trommeln die treibende Kraft, die euch auf Anhieb in fast jedem Musikstück auffällt.

Das Hülsbeck „nur“ neun verschiedene Levelthemen beisteuert, hört sich angesichts seiner vorhergehenden Referenzen vergleichsweise gering doch. Doch dafür braucht er beispielsweise im Falle von „Charon“ keine zwei Minuten, um eine vollwertige Symphonie auf die Beine zu stellen. Dort ist alles drin, was Tunnel B1 ausmacht: virtuelle Streicher, Trompeten, Synthieelemente und vor allem ein kraftvolles Klavier, das euch durch sein hohes Tempo und seinem abgehakten Klang vorantreibt.

Das glatte Gegenteil stellt „Oceanos“ dar, bei dem Hülsebeck langsam und ruhig agiert. Hier ist dank der Synthesizer-Dominanz ein Hauch von Jean-Michel Jarré zu spüren, entsprechend ist es mit fast sechs Minuten der mit Abstand längste Part des gesamten Spieles.

Auch darüber hinaus fällt auf: Ist das Thema kurz (beziehungsweise stoppt unterhalb von zwei Minuten), dann klingt Tunnel B1 hektisch und actionreich. Ist es länger, dann geht Hülsbeck entsprechend mit dem Tempo zurück. Das Resultat ist ungewohnt variantenreich, speziell wenn man den orchestralen Ansatz berücksichtigt.

Der eine oder andere moniert die Tonqualität, weil die Musik eben nicht von einem echten Orchester kommt und hörbar aus dem Studio stammt. Dem möchte ich vehement widersprechen und das mit nicht messbaren Abstand beste Stück von Tunnel B1 als Beweis präsentieren: „Nemesis“.

Chris Hülsbeck beginnt mit einem für seine Verhältnisse ungewöhnlichen Drumsolo, bei dem er Schlagzeugtöne in den unterschiedlichsten Varianten kombiniert und mit einem ungemein effektiven Halleffekt versieht. Eine halbe Minute später folgen die Streicher, die mit voller Wucht die fantastisch komponierte Kernmelodie teasern.

Danach wechselt Hülsbeck ständig zwischen beiden Richtungen: Mal dominieren die Drums, mal erhalten die Streicher die Oberhand. Das Ergebnis ist packend, motivierend und durch und durch perfekt. Und vor allem ist es in der Form mit einem „echten“ Orchester nicht möglich – was die Aufführung im Rahmen des „Symphonic-Shades“-Konzertes bestätigte. Dort sollte sich Tunnel B1 als die einzige, kleine Schwachstelle herauskristallisieren, eben gerade weil es auf den ersten Blick so nahe am Orchester klebt und eben doch von den bewusst künstlich gewählten Mitteln lebt.

 

 

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