Brooklyn

Wir leben im Zeitalter des Internets, wo theoretisch jeder jeden kennen lernen kann. Und doch ist es für unsichere Singles schwieriger als je zuvor einen Partner zu finden. Es stellt sich die Frage: Gab es früher zu viele gesellschaftliche Zwänge, aus denen man schlecht entfliehen konnte, oder heute zu viele Möglichkeiten, zwischen denen man sich nicht entscheiden mag?

Ellis Lacey (gespielt von Saoirse Ronan) wandert im Jahre 1952 nach Amerika aus. Als gebürtige Irin lässt sie ihre Mutter und ihre Schwester zurück, die ihr in Übersee ein besseres Leben wünschen.

Trotz natürlicher Schönheit geprägt und mit freundlicher Demut aufgewachsen, wirkt sie zunächst völlig verloren. In ihrer Heimat wurde sie noch böse von ihrer Arbeitgeberin schikaniert, der es sichtlich Spaß macht andere Menschen verbal zu verletzen und bloß zu stellen. Auf der Überfahrt gerät ihr Schiff in einen heftigen Sturm und in Brooklyn angekommen erweist sich ihre Schüchternheit als Charakterschwäche. Allen voran leidet Ellis unter Heimweh, weshalb sie den ersten Brief ihrer Schwester emotional kaum ertragen kann.

Doch nach und nach macht sich Ellis einen Namen und findet ihren Platz in Amerika. Sie fängt an zu studieren, wird zum Lieblingsmädchen ihrer Vermieterin und lernt auf einer Tanzveranstaltung Tony kennen. Der Italiener ist sichtlich an ihr interessiert und gibt sich alle Mühe, ihr auf charmante Weise den Hof zu machen. Alles scheint auf ein gutes Leben hinzudeuten, bis Ellis von zuhause eine Hiobsbotschaft erhält, die sie mehr oder weniger zur Rückkehr zwingt. Die Frage ist letztlich, für wie lange…

Seit der Erweiterung des Best-Picture-Nominierungsfeldes gibt es stets einen Kandidaten, bei dem sich der veramerikanisierte Kinogeher denkt: „Wirklich? Dieser Film!? Best Picture?!?“ Nach Philomena, Amour oder Die Entdeckung der Unendlichkeit (die im übrigen allesamt europäischen Ursprungs sind) trifft dieses Urteil nun John Crowleys Brooklyn – und es könnte unfairer kaum sein.

Jemand hat einmal über No Country for Old Men gesagt, dass solche Filme eigentlich nicht mehr gemacht werden. Ich möchte dieses Zitat für Brooklyn übernehmen: Eine solch gut erzählte und vor allem ehrlich gemeinte Liebesgeschichte habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Gleichzeitig verzichtet sie auf unnötigen Kitsch und lockert die Rahmenhandlung mit einer gut geschriebenen Portion Humor auf.

Die Entwicklung von Ellis ist beispielhaft und in Anbetracht der Kürze des Filmes, der unter der zwei Stunden Grenzen bleibt, ein kleines Meisterwerk. Natürlich werden viele Kritiker ankreiden, dass ihr Charakter „zu schön um wahr zu sein“ sei. In der Tat ist der Plotverlauf sehr romantisiert und stilisiert. Es fließen zwar nicht zu knapp Tränen, aber schwerwiegende Dramen, fatale Fehlentscheidungen oder unwahrscheinlich unglückliche Ereignisse gibt es keine. Im letzten Drittel bahnt sich ein Konflikt an, der einzig von menschlichen, natürlichen Fehlern lebt. Und auch er kann nicht verhindern, dass am Ende des Gefühl siegt, einen wunderschönen, herzerwärmenden Film gesehen zu haben.

Es gibt drei treibende Kräfte für den Erfolg von Brooklyn: Zum einen ist Michael Brooks Musik höchst sensibel und setzt stets im richtigen Moment ein, ohne den Streicherbogen zu überspannen. Zum zweiten hat Drehbuchautor Nick Hornby die Romanvorlage von Colm Tóibín an den richtigen Stellen abgeändert und insbesondere Ellis zu einem liebenswerteren Charakter gemacht – wohlgemerkt keinen realistischen, aber darum geht es hier auch nicht.

Zu guter Letzt ist es Saoirse Ronan, die sowohl in Sachen Besetzung als auch Darstellung ein Segen ist. Sie vereint Ellis Stärken und Schwächen zu einem greifbaren Mensch, dem man jeden Missgriff verzeiht. Sämtliche Facetten vom schüchternen Mädchen hin zur selbstbewussten jungen Frau werden perfekt dargestellt. Ich bin bereits seit Joe Wrights Atonement ein großer Fan von Ronan und es ist ein Genuss sie nun auch als Erwachsene in einer solchen Glanzleistung sehen zu dürfen.

Brooklyn sollte für uns in zweierlei Hinsicht eine Lehre sein: Zum einen solltest du deinen eigenen Weg im Leben finden und dich von niemanden bequatschen lassen, egal ob Verwandte, Freunde, Arbeitgeber oder gar der Gesellschaft. Zum anderen vermittelt die Geschichte ein ehrliches, warmherziges Gefühl von Liebe, dass im Zuge der modernen Miesmacherkultur verloren ging. Brooklyn gibt mir die Hoffnung zurück, dass das Leben ungeachtet aller Umstände und Katastrophen eigentlich doch ganz einfach sein kann.

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Beste Hauptdarstellerin (Saoirse Ronan), Bestes Adaptiertes Drehbuch.