Oscar-Aftermath: Warum Green Book für mich O.k. ist

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Ich verfolge die Oscar-Verleihung akribisch seit James Cameron wirklich alles mit seinem sinkenden Schiff gewann und habe seither einen Großteil der Best-Picture-Nominees im Nachhinein nachgeholt – bis zur Steinzeit zurück! Von 1997 bis 2011 gewann mein persönlicher Lieblingsfilm des Jahres acht Mal, was mir schon immer ungewöhnlich viel vorkam. Doch seither habe ich anscheinend eine „Pechsträhne“. Manchmal fühlte es sich an, als ob ich mit Gravity, Boyhood oder La La Land auf das falsche Pferd gesetzt hätte.

Ich könnte nun das gleiche über Roma sagen, einen Film den ich weit über alles aus dem Jahrgang 2018 verehre. Trotzdem komme ich mit Green Book als Best Picture klar. Vielleicht bin ich auch etwas abgehärtet, nachdem vor zwei Jahren dem vermeintlichen Sieger der Oscar regelrecht aus den Händen entrissen wurde.

Wie ich bereits bei meinem Oscar-Tippschein erwähnte, war 2018 ein gutes Filmjahr – also für mich, meinen Geschmack, was auch immer. Ich konnte allen acht Kandidaten etwas abgewinnen und hätte sieben den Sieg gegönnt. Das gilt auch für Green Book.

Natürlich kommt jetzt die Kritik aus allen Seiten geschossen, die sich vor allem auf einen Aspekt konzentriert: der weichgespülte Rassismus mit seiner wundersamen Heilung und dem Magical-Negro-Makel. Der Film versuche einen auf heile Welt zu machen, was angesichts der rein weißen Drehbuchautoren mehr als zynisch klinge. Die Familie von Don Shirley distanziert sich von der Umsetzung, weil der begnadete Pianist nie und nimmer mit seinem Fahrer befreundet gewesen wäre – und er letztlich als billiges Stilmittel missbraucht werde, um den italioamerikaner Tony Lip von seinen Vorurteilen zu befreien.

Was bei all der Diskussion viele vergessen: Green Book möchte in erster Linie lustig sein. Es ist eine Komödie, die clever geschrieben und gut umgesetzt ist. Sie lebt von pointenreichen Dialogen, amüsanten Charakteren und einer dezenten Portion Slapstick. In der Hinsicht ist der Film ein voller Erfolg und in der Tat Best-Picture-würdig.

Und, ja: Green Book erzählt vornehmlich die Geschichte von Tony Lip, basierend auf seinen Erzählungen – kein Wunder, wenn das Drehbuch von seinem eigenen Sohn stammt. Hätte er sich wirklich vorher mit Don Shirleys Familie auseinander setzen müssen? Möglich – aber darum ging es ihm nicht. Die Rassenthematik war für ihn zweitrangig: Er wollte einfach einen schönen, leicht zugänglichen und amüsanten Film über seinen Vater schreiben, der laut seinen Aussagen eine Freundschaft mit einem kauzigen Pianist aufbaute. Deshalb musste ich schon leicht die Augen rollen, als in einem Boulevard-Internet-Magazin Green Book als Rassendrama bezeichnet wurde.

Es gibt aber auch für mich etwas, was mich aufregt – und ich bin heilfroh, dass Sasha Stone von Awardsdaily, eine der besten und versiertsten Oscar-Blogger überhaupt, es genau so sieht: Warum wird jetzt auf der Academy rumgetrampelt? Sie waren beileibe nicht die einzigen, die Green Book als Bester Film ausgezeichnet haben. Das gilt auch für den Publikumspreis in Toronto (wo er bereits gegen Roma antrat), den Producer Guild Award (mit exakt der gleichen Konkurrenz plus zwei weiteren Filmen) und den Golden Globe (in der passenden Sparte Comedy/Musical).

Schon immer werden der Academy Sünden angerechnet, die nur bedingt auf ihren Mist wachsen. „Umstrittene“ Best-Picture-Sieger in der Vergangenheit schließen beispielsweise The Greatest Show on Earth, Ordinary People oder Dances with Wolves ein – die allesamt vorher bereits bei den Golden Globes vor High Noon, Raging Bull sowie Goodfellas gewannen!

Die Filme, die in der Tat ohne große Auszeichnungen im Vorfeld Best Picture abräumten, heißen Braveheart (angeblich dank der ersten, effektiven Screener-Kampagne, weshalb alle Academy-Wähler den Film in Ruhe auf VHS sehen konnten) und Crash (das trotz angeblicher Rassenhass-Weichspülerei erstaunlich viele Preise von afroamerikanischen Kritikervereinigungen einheimste). Und selbst diese Kandidaten haben jeweils enthusiastische Fans, die sich mit Film und Filmkunst auskennen und die Siege bis heute verteidigen. Schaut euch hierzu mal die IMDB-Durchschnittsbewertungen an, die alles andere als niedrig ausfallen.

Nein, das Problem liegt nach wie vor wo ganz anders begraben: Ein Best-Picture-Sieg ist in aller Regel ein Makel. Hätten Roma, Black Panther oder Bohemian Rhapsody gewonnen, dann würden sie jetzt genau so eins auf den Deckel bekommen – nur eben aus anderen Gründen. Immer seltener werden die positiven Stimmen, die im Nachhinein eintrudeln. Am Ende weiß man nicht mal, ob die Schreiberlinge verletzt, enttäuscht oder wütend sind.

Alles in allem nehmen sie es viel zu persönlich, wenn nicht ihr Liebling oder besser gesagt ihre Meinung gewinnt. Und ja, auch mir passiert das ab und an – ihr hättet mich mal nach dem letztjährigen Game-of-Thrones-Sieg bei den Emmys sehen sollen. Aber das ist im Endeffekt auf MEINEN Mist gewachsen – und nicht auf den von irgendeiner Preisverleihung.

Nochmal zum Mitschreiben: Es gibt nicht einen besten Film des Jahres. Daran kann auch die Academy nichts ändern, wenn die Bandbreite so vielschichtig und die Auswahl nur schwer zu meistern ist. Es bringt auch nichts, sich über vereinzelte Mitglieder zu beschweren, die laut eigener Aussage niemals einen Marvel-Film sehen würden, auf gar keinen Fall Netflix helfen wollen oder per Haus jedes Werk von Steven Spielberg unterstützen. Es sind am Ende Menschen, die da wählen – und zwar ein paar Tausend, weshalb man solche Einzelberichte nicht zu sehr auf die Goldwaage legen sollten. Schließlich bekommen auch die Herren Journalisten am ehesten jene Meinungen aufs Papier, die gezielt strittig oder skandalös klingen.

Es fällt mir in der Tat schwer zu schreiben: Viele können mit Roma aber auch rein gar nichts anfangen. Der lustigste und zugleich verletztendste Spitzname, den ich bislang gelesen habe, lautet Coma. Solche Leute verstehen unter einem tollen Film etwas anderes, als eine Hommage an ein Kindermädchen – in Schwarz-Weiß – und ja, mit Untertiteln. Es hat schon seinen Grund, warum weltweit betrachtet Best-Picture-Kandidaten aus dem jeweiligen Land stammen. Außer in Cannes vielleicht, aber die dort prämierten Filme sind ja noch weiter vom Mainstream entfernt, weshalb ich nicht mal die Hälfte von ihnen gesehen habe.

Was kann die Academy dagegen machen? Eigentlich nur eines: Klar stellen, was Best Picture heißt, nämlich der IHRER Meinung nach beste Film. In den Anfängen der Verleihung gab es eine bessere Bezeichnung: Outstanding Motion Picture. Wie wäre es damit? Und das gleich bei der nächsten Promo-Kampagne unterstreichen.