Die Oscar-Verleihung ist derzeit schwer zu deuten. Trotz Golden Globe, trotz BAFTA, trotz Gildenpreise kommt es besonders in der Kategorie Best Picture zu einer Überraschung nach der anderen. Mit ein Grund hierfür ist das veränderte Umfeld: Sowohl die Academy als auch die Filmschaffenden haben sich geändert. Meilensteine wie Mad Max: Fury Road, Get Out oder Moonlight werden nominiert, was vor zehn oder gar zwanzig Jahren bei den jeweiligen Thematiken undenkbar gewesen wäre.
Was hingegen fast ausgestorben ist, dass ist der klassische Oscar-Film: ein sicheres Auszeichnungs-Sprungbrett für Schauspieler, ein sachlich-glattes Drehbuch, dezent überzogene Dramatik und eine Regie ohne Schnörkeleien. Und weil das inzwischen so selten geworden ist, darf man ruhig mal die wenigen, noch lebenden Ausnahmen lobend hervorheben.
Kay Graham ist seit dem Suizid ihres Mannes Leiterin der Tageszeit The Washington Post. In den frühen 1970er Jahren ist der Kampf mit der Konkurrenz hart und die finanzielle Situation alles andere als sattelfest. Mit dem Verkauf von Aktien soll die Zeitung eine ordentliche Geldspritze erhalten und ihre Zukunft gesichert werden.
Entsprechend ungünstig ist die politsche Lage: Amerika kämpft immer noch gegen Vietnam und eine Ende ist nicht in Sicht. Daniel Ellsberg, der die Situation vor Ort miterlebt, hat die Schnauze voll und liefert der New York Times einen Stapel brandheißer Dokumente, die von der Regierung erstellt wurden. Darin wird klipp und klar gesagt: Der Vietnamkrieg ist nicht mehr zu gewinnen – eine Erkenntnis, die bereits seit 6 Jahren fest steht. Doch kein Präsident traut sich, die Truppen nach Hause zu schicken und die Niederlage einzugestehen. So auch Richard Nixon.
Die Times druckt eine entsprechend heiße Serie von Artikeln, die den Missstand aufzeigt. Nixon schaltet sich ein und droht mit einer Klage – schließlich würde die Times hochsensible und klasssifizierte Angaben drucken. Schnell werden Vorwürfe wie Spionage oder Vorrat laut.
Die Mitarbeiter der Post beobachten die Situation und sehen ihren Job als gefährdet. Wenn der Präsident einfach so ihre Arbeit behindern könne, dann wäre es vorbei mit der Meinungsfreiheit. Also setzt man alles dran, mit Daniel Ellsberg in Konakt zu geraten und an die Dokumente heranzukommen – was letztlich auch gelingt. Doch bis dahin ist niemandem in der Redaktion das wahre Ausmaß bewusst: Die Nachrichtenschreiber müssen innerhalb eines Arbeitstages 4000 unsortierte Seiten durchforsten und daraus eine Story machen, die keine der noch in Vietnam stationierten Soldaten gefährdet.
Und am Ende muss Kay Graham entscheiden, ob die Geschichte wirklich gedruckt wird – womit sie die Existenz der Washington Post aufs Spiel setzt und sämtlichen Verantwortlichen eine Gefängnisstrafe droht, sofern Nixon mit seiner Klage Erfolg hat.
Wem das hier zu viel gespoilert ist: Was zum Geier erwartet ihr denn bei so einem Film? Die Story ist von Beginn an fest und der Verlauf in Stein gemeiselt. Wer bei einem Film wie The Post überraschende Wendungen oder hochbrisante Informationen erwartet, der ist völlig falsch.
Steven Spielberg zeigt (mal wieder), was für ein durchkalkulierter Regisseur er ist. Wer seine Arbeiten kennt (und wer tut dies nicht?), der weiß sofort grob um Kameraeinstellungen, Szenenschnitt und Drehbuchdramatik Bescheid. The Post ist ein durch und durch routiniertes Werk und paradoxerweise genau deshalb so interessant. Wer die Schnauze voll hat von Twists wie in Get Out oder dem Überbord werfen moralischer Richlinien á la Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, der ist hier genau richtig aufgehoben.
Darüber hinaus funktioniert der Film deshalb so gut, weil er sich kaum Fehler erlaubt. Genau wie die Mitarbeiter der Washington Post, spürt man hier die Professionalität von Spielbergs Stammteam – sei es Cutter Michael Kahn (erstmals in Kooperation mit Sarah Broshar), Kameramann Janusz Kaminski oder Komponist John Williams. Zwar wird dem Endergebnis vorgeworfen, es sei “rushed” (ergo gehetzt) entstanden. Aber irgendwie spiegelt doch auch das die Geschichte wieder.
Dazu kommen sein alter Freund Tom Hanks, der den Chefredakteur Ben Bradlee mit einer dominanten “Wir machen das jetzt so und basta!”-Attitüde spielt und die unfehlbare Meryl Streep, die erstmals in einem Spielberg-Film spielt. Und natürlich legt sie wieder eine tadellose Darstellung als Kay Graham hin, die mir besonders in ihren unsicheren Momenten gefällt. Nur Streep kann so erfahren eine unerfahrene Person mimen.
Der Geschichte wird man sicherlich ihre künstlerischen Freiheiten vorwerfen, denn von der Gewichtung müsste man das Drama eigentlich aus Sicht der New York Times zeigen – nur dann hätte Spielberg nicht diesen Gewissensshowdown “Drucken oder nicht drucken?” zeigen können. Zudem sticht er mit seiner Hauptfigur Kay Graham ganz dezent in das Herz der MeToo-Bewegung, weil hier eine zunächst gegen die Männerwelt hilflos agierende Frau am Ende die Eier in der Hose hat.
Last but not Least mag Nixons hochstilisierung als Bösewicht (der im übrigen nur aus der Distanz und von hinten telefonierend zu sehen ist) überzogen sein. Aber das nimmt Spielberg lächelnd in Kauf, um dem derzeit amtierenden Präsidenten Donald Trump seine Meinung zu geigen. Die Finalszene, die sich rund um Nixons berühmt-bekanntes Schicksal dreht, ist mehr als nur ein Stinkefinger in Richtung Washington.
Es ist jedenfalls sonnenklar, dass The Post als Best Picture nominiert ist. Zum einen gibt es in der Academy lautstarke Spielberg-Fans, die alles von dem Mann nominieren und wählen (laut einigen anonym gehaltenen Interviews, versteht sich). Zum anderen ist es eben ein klassischer Oscar-Film, weshalb es mich viel mehr wundert, wieso abseits der Topkategorie nur eine magere Nomnierung für Meryl Streep herausgesprungen ist.
O.k: Das beste Originaldrehbuch hat keine Chance, weil in dieser Killergruppe selbst Paul Thomas Anderson für Phantom Thread oder Christopher Nolan für Dunkirk von außen zuschauen müssen. Aber warum nicht die hervorragende Kameraarbeit von Kaminski, die zunächst so schnön glatt verläuft und mit jedem weiteren Moment genau wie die Geschichte an sich an Hektik gewinnt? Oder das Produktionsdesign, mit seinen mächtigen Druckmaschinen und der herrlich ausgesatteten Graham-Villa? Auch Filmschnitt und Regie sind sehr stark, während mich persönlich nur die Musik von John Williams leicht enttäuscht.
Meine Vermutung: The Post ist in einigen dieser Kategorien auf dem undankbaren sechsten Platz gelandet. Und umso mehr begrüße ich das seit acht Jahren erweiterte Best-Picture-Feld, weil manchmal die Summe besser ist als ihre Einzelteile.
Oscar-Nominierungen: Bester Film, Beste Hauptdarstellerin (Meryl Streep).