OST #3: Turrican

003-TurricanComposer: Chris Hülsbeck
System: Amiga
Year: 1990

Turrican: Dieses eine Wort fasst meine Begeisterung bezüglich Computer- und Videospielmusik besser zusammen als alle Texte, die ich in den letzten 362 Tagen veröffentlicht habe. Es kamen bereits einige Fortsetzungen der Serie zum Zuge, doch hier und heute ist der Ursprung an der Reihe.

Chris Hülsbeck war für mich bereits anno 1990 längst kein Unbekannter mehr. Seine Werke verfolgten mich von Anfang an, denn Shades machte ihn nicht nur zum Sieger eines SID-Chip-Wettbewerbs. Es war auch für mich der Beginn, dass ich mich in irgendeiner Form für Musik interessierte.

Mal zufällig (Madness), mal gezielt (The Great Giana Sisters) stieß und verfolgte ich über die Jahre jede seiner Arbeiten, von der ich Kenntnis nahm. Schnell wurde daraus eine Manier, alles zu sammeln, wo Chris Hülsbeck mit drauf stand. Im Jahre 1990 kam der Amiga-Computer ins Haus und die Sucht ging dank Hollywood Poker Pro, R-Type sowie Rock n’ Roll mit der nächsten Hardwaregeneration weiter. Und dann stand Turrican vor der Tür, dessen protzige Werbeanzeigen bereits auf einen besonders aufwändigen Soundtrack hinwiesen.

„Was ist so lang wie 2 LP’s?“ – oder besser gesagt 40 Minuten, denn so viel Musik steckt in Turrican. Zum Vergleich: Andere Top-Soundtracks wie Shadow of the Beast oder Ghouls’n’Ghosts, die im Jahr zuvor auf dem gleichen System erschienen sind, kommen nicht einmal auf die Hälfte. Kein Wunder, schließlich komponierte Hülsbeck für nahezu jeden Levelabschnitt sowie jeden (!) Endboss ein eigenes Musikstück – derartiges traute sich zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal Konami mit Castlevania 3. Die einzige Ausnahme stellt die Alienwelt dar, in der ihr keine Musik und dafür eine grandiose Geräuschekulisse hört, bestehend aus kurzen Loops sowie technisch brillant in Szene gesetzten Effekten.

Die Levels sind insgesamt auf fünf Welten verteilt, wobei jede von einem eigenen Instrumentenset profitiert. Die Stilrichtung lässt sich durch die Bank weg als Synthi-Pop bezeichnen, allerdings wird diese etwas seichte Bezeichnung kaum der Vielschichtigkeit und der kompositorischen Brillanz gerecht. Abseits von einigen Schlagzeugtönen sowie einer ab und an dröhnenden E-Gitarre imitiert Hülsbeck keine echten Instrumente, sondern erfindet für jede Welt neue – eines faszinierender als das andere.

Kompositorisch leistet er sich ebenso keine Schwäche, stapelt einen Ohrwurm auf den anderen und sorgt dank der technisch bahnbrechenden Qualität der Instrumentensamples für eine im Run-&-Gun-Genre ungekannte Atmosphäre. Der daraus entstehende Motivationskick ist unbestreitbar und ausschlaggebend dafür, warum die Amiga-Version dem musikalisch größtenteils stummen C64-Original haushoch überlegen ist.

Deshalb fällt es mir auch etwas schwer, gezielt Highlights zu benennen. Schließlich schenken sich die In-Game-Themen rein gar nichts und beanspruchen allesamt Argumente für sich. Über die Jahre hinweg hat sich einzig „Enemy Mine“ knapp über allen anderen behauptet, weil der Kontrast zwischen den hellen Tönen im Vordergrund und der düsteren Begleitung im Hintergrund herrlich sowie glasklar rüber kommt.

Abseits der Musik während des Spielgschehens ist es wiederum leicht, zwei weitere Ausnahmewerke zu preisen: „Victory“ beinhaltet die komplexeste und längste Melodie des gesamten Spieles und markiert den Beginn einer langen Reihe von grandiosen Abspannthemen, für die Hülsbeck im Laufe seiner Karriere immer bekannter wurde.

Und jetzt, wie könnte ich es auch vergessen, fehlt nur noch „Shoot or Die“ – meiner demütigen Meinung nach die Nummer Eins unter allem, was irgendwie aus Noten und Tönen besteht.

Das Turrican-Thema schwebt über allem, schlicht weil es DIE Video- und Computerspiel-Komposition überhaupt ist. Es charakterisiert wie kein zweites die Action und die Thematik ohne zu einem weiteren, stereotypischen Arcade-Geklimpere zu verkommen. Obwohl es hervorragend zum Zeitgeist passt, der damals am Rande einer neuen Dekade stand, fühlt es sich durch und durch wie etwas völlig eigenständiges an. Das Turrican-Thema erreicht seine Genialität eben nicht dadurch, dass es wie so viele andere Größen die bereits vertraute Bank der Musikgeschichte missbraucht. Es ist so genial, weil es sich von Anfang bis Ende wie die ultimative Spielemusik anhört und anfühlt.

 

 

 

 

 

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