OST #5: Shadow of the Colossus

005-Shadow_of_the_ColossusComposer: Kow Otani
System: PlayStation 2
Year: 2005

So sehr ich Videospielmusik mag, so wenig kann ich mit typischen Anime- oder japanischen Film-Soundtracks anfangen – sie klingen für mich so derb austauschbar und vereinheitlicht. Deshalb zucke ich immer unwillkürlich zusammen, wenn ein Mann wie Kow Otani als Komponist für ein Spiel verpflichtet wird.

Überhaupt: Kow Otani… wer ist das? Kennt irgendwer seine Werke jenseits von Shadow of the Colossus? Zugegeben: Ich bin wahrlich kein großer Kenner der japanischen Filmkunst – aber abseits von City Hunter sowie diversen Titeln, die sich an Videospielfranchise anlehnen, kenne ich rein namentlich (!) nichts, was in seiner auf Wikipedia stehende Dicography aufgezählt wird. Geschwige denn, das ich irgendwas davon gesehen hätte.

O.k., das ist gelogen: Natürlich ist mir Gamera oder Godzilla irgendwo ein Begriff. Aber im Ernst: Filme mit riesigen, mutierten Monstern, von denen es abertausende gibt? Einer cheesiger als der andere? Deren Komponist ist gut genug für Fumito Uedas wahnwitzige Vision, den mickrigen Spieler gegen übermächtige Kolosse kämpfen zu lassen?

Eines ist sicher: Otani muss diese Vision zutiefst beeindruckt und verinnerlicht haben. Anders ist das Ergebnis nicht zu erklären. Nicht nur, dass sein Soundtrack zu Shadow of the Colossus all seine vorhergehende Werke qualitätstechnisch zerschmettert: Er überholt mit einem Satz 99,9% aller Videospielvirtuosen.

Der Soundtrack von Shadow of the Colossus ist grob betrachtet dreigeteilt. Ein Großteil bildet die Musik, die während den Begegnungen mit den Kolossen stattfindet. Drumherum gibt es eine Handvoll Zwischensequenzen. Und ganz am äußersten Rand stehen der Beginn und das Ende. Der zweitgenannte Part ist der unspektakulärste: Die Instrumentation ist langweilig, die Kompositionen generisch. Nichts, was weh tut. Aber auch nichts besonderes.

Letztlich ist es egal, weil die anderen beiden Teile jeweils völlig andere Richtungen einschlagen und die Atmosphäre des Spieles auf das Extremste dehnen. Der Kampf gegen einen Koloss wird in der Regel von zwei Musikstücken begleitet, wobei das eine zu Beginn beziehungsweise bei der ersten Begegnung und das andere im Laufe des dramatischen Showdowns spielt, wenn ihr euch der Schwachstelle des Biestes nähert und dieses sich vehement gegen eure Angriffe wehrt. Ersteres ist bedeutend ruhiger als letzteres, aber nicht zwingend leiser. Im Gegenteil: Ein Großteil der Musik ist sehr laut und sehr mächtig.

Obwohl viele Stücke nach dem gleichen Prinzip ablaufen, strahlt jedes einzelne seinen eigenen, unverkennbaren Reiz aus. Otani kitzelt eine unglaubliche Energie aus dem Orchester, wie es kaum ein Hollywood-Komponist hinbekommt. Trotzdem bleibt unter all der Härte und der Lautstärke das Herz der Melodie intakt. Dies ist nämlich der Punkt, woran normalerweise eine solch auf Bombast getrimmte Musik scheitert: Sie versinkt eigentlich im Chaos, während sich die Instrumente gegenseitig niederschreien. Nicht jedoch Shadow of the Colossus: Hier arbeiten sie gemeinsam und heben sich somit auf eine für andere Soundtracks unerreichbare, weil schwindelerregende Höhe.

Es gibt zudem einen unverrückbaren Beweis dafür, dass Otanis Musik nicht dank seiner puren Mächtigkeit so beliebt ist sondern zweifelsohne aufgrund der Kompositionen nahezu jeden Zuhörer zum Fan macht. Der Beweis ist der dritte Teil des Soundtracks, nämlich der Anfang und das Ende.

Unter den Titeln „Prologue ~To the Ancient Land~“ und „Epilogue ~Those Who Remain~“ verbergen sich zwei Themen, die sich im ersten Moment sehr ähnlich sind. Das erste hat etwas geschafft, was ansonsten bislang nur Ori and the Blind Forest wiederholen konnte: Mich von der ersten Sekunden an zu faszinieren und zu fesseln. Im Gegensatz zu den Kampfmusiken ist das Stück sehr langsam und regelrecht poetisch. Allein diese ständig widerhallende Flöte in Kombination mit dem im Hintergrund agierenden Chor scheint nicht von dieser Welt zu sein. Eine Minute später kommen noch die höchst sensibel agierenden Streicher hinzu, die den Einstieg in die Geschichte perfektionieren.

Was den „Epilogue“ anbelangt – den kann ich mit Worten nicht adäquat beschreiben. Deshalb nur so viel: Wenn ihr mich gezielt zum Heulen bringen wollt, dann müsst ihr nur dieses Musikstück spielen. Danach ist’s aus mit mir. Diese siebenminütige Suite ist das Zweitbeste, was ich je in meinem Leben gehört habe. Mehr muss und möchte ich nicht sagen.

 

 

 

 

Shadow_of_the_Colossus