Room

Was würden wir alles für unsere Kinder tun? Oder besser gefragt: Zu was wären wir bereit? Wie reagieren wir in Ausnahmesituationen, mit denen wir selbst zu kämpfen hätten? Und wenn wir wirklich alles opfern müssten: Tun wir es wirklich des Kindes wegen – oder weil wir den Gedanken nicht ertragen könnten, ohne es zu leben?

Jack (Jacob Tremblay) ist fünf Jahre alt. Er lebt seit seiner Geburt in einer Scheune, die er und seine Mutter (Brie Larson) nur als „Raum“ bezeichnen. Darin steht zusammengepfercht eine Spüle, eine kleine Küchennische, eine Toilette, ein Schrank, etc. Jack kennt alles andere nur aus dem Fernsehen, weshalb für ihn die „Außenwelt“ nicht real ist.

Die Mutter wurde vor sieben Jahren von einem Mann in eine Falle gelockt und ist seitdem in der Scheune eingesperrt. Sie wird regelmäßig vergewaltigt, was zur Schwangerschaft und der Geburt von Jack führt. Seither lebt sie mit ihrem Sohn auf engstem Raum, obwohl sie selbst ganz genau weiß, wie es „da draußen“ aussieht…

Der Film Room ist zweigeteilt: In der ersten Hälfte erleben wir den Alltag innerhalb der Scheune und in der zweiten das Leben außerhalb. Ja, die beiden können sich befreien. Nein, das ist kein Spoiler – es ist von vorne herein klar, dass die Geschichte in diese Richtung verläuft. Und es ist auch nicht schlimm, es zu wissen. Die Fluchtszene mag vielleicht der dramatische Höhepunkt einer emotionalen Zerreißprobe sein, die ihr durchmacht. Ich werde nicht jedes Detail ausplappern, aber ungelogen: In dem Moment, als es sicher war das Mutter und Kind aus der Scheune raus sind, da hatte ich einen kaum kontrollierbaren Heulkrampf. Obwohl ich wusste, was passiert.

In Room geht es um etwas anderes: das Leben danach. Vielleicht hätte Lenny Abrahamson am liebsten nur dieses gezeigt, nur dann hätte der Film nicht funktioniert. Wir müssen zuerst das Martyrium der Mutter und die Unwissenheit von Jack spüren, bevor wir etwas mit den Konsequenzen nach der Rettung anfangen können. Wer auch nur einen Funken Menschenverstand besitzt, der kann sich bereits denken: Danach ist nicht alles eitel Sonnenschein.

Abarahamson wurde überraschend für seine Regieleistung nominiert – und sowohl die Art als auch die Qualität dahinter erinnert fatal an Benh Zeitlins Beasts of the Southern Wild, das ebenfalls völlig überraschend in der gleichen Kategorie punkten konnte. Beide Filme werden primär aus Sicht eines Kindes gezeigt. Doch während Zeitlin mit Fantasyelementen herumspielt, ist Abrahamsons Darstellung im wahrsten Sinne des Wortes erdrückender. Er schafft zwar nicht durchweg die Illusion, dass Jack in der Tat bis zu seinem fünften Geburtstag nur diesen Raum kennt – aber der Gedanke dahinter blitzt oft genug auf, um für Unwohlsein und Traurigkeit zu sorgen.

Denn damit müsst ihr klar kommen: Room ist zu keinem Zeitpunkt glorreich. Die Geschichte verschafft nicht einmal das Gefühl der Befriedigung und allenfalls das der Erlösung. Sie macht unmissverständlich klar, dass das Leben der beiden zwar weiter geht, aber wohl niemals vollständig normal sein wird.

Und hier kommt der Punkt ins Spiel, der dem Film zumindest eine Oscarstatuette bescheren wird: Brie Larson. Ihr nehmt ihr die gesamte Situation und deren Folgen ab, sofern man sich so etwas überhaupt als Außenstehender vorstellen kann. Sie ist einerseits das eigentliche Opfer, weil sie im Gegensatz zu ihrem Sohn bewusst über Jahre in einem Gefängnis saß und unerträgliche Qualen erleiden musste. Aber andererseits übernimmt sie instinktiv als Mutter die Rolle der Beschützerin. So tragisch die Schwangerschaft und Geburt für ihren Charakter gewesen sein muss, so ist es nachvollziehbar, dass er gerade deswegen überleben konnte – alles und allein für das Kind.

Room gilt als der umstrittenste Film, der für den Best Picture Oscar 2015 nominiert ist. In der Tat ist er für mich der einzige, der kleine Schwachstelle aufzeigt und an manchen Stellen etwas langatmig wirkt. Diverse Konflikte, wie den Großvater, der Jack nicht einmal ansehen kann, werden gezeigt als ob sie auf einer Abhakliste stehen.

Darüber hinaus wird dem Film vorgeworfen, er würde seine Zuschauer mit emotional hochstilisierten Szenen in die Falle locken und somit von Ungereimtheiten der Geschichte ablenken. Es hätte doch so viele Möglichkeiten gegeben, früher zu fliehen oder den Geiselnehmer zu überwältigen. Die Leute, die so etwas wirklich von Room denken, haben keinen Meter Ahnung davon, wie irrational Menschen in Ausnahmesituationen denken.

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin (Brie Larson), Bestes adaptiertes Drehbuch.