Oscar 2013/2014: Vorgeplänkel ohne Glaskugel

Nächste Woche beginnt er wieder: der vermeintlich größte Zirkus der Filmindustrie. Oder besser gesagt: Die “Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ gibt am folgenden Dienstag ihre Oscar-Nominierungen für den Jahrgang 2013 bekannt. Dann heißt es wieder Spannung und Nägelkauen, wer denn auch wirklich am 2.März gewinnt…

Obwohl… so wirklich spannend ist es eigentlich nicht. Wir reden hier schließlich über die Oscars, eine der berechenbarsten Preisverleihungen auf unserem Planeten. Und es liegt nicht an irgendwelchen Klischees über den “typischen“ Academy-Movie, weil ein solcher angeblich “immer“ gewinnt – die Zeiten, in denen das melodramatische Epos automatisch siegt, sind seit The English Patient vorbei. Der wahre Grund für die Berechenbarkeit sind die unzähligen “Precursors“, sprich Auszeichnungen, die im Vorfeld verliehen werden und rein statistisch gesehen den Academy-Award-Sieger in vielen Fällen voraussagen.

Die Macht der Gilden

Die Golden Globes? Nein, von denen rede ich nicht. Diese Veranstaltung hat sich zwar trotz kleiner “Skandale“ als eigener Event etabliert und wird immer mal gerne von der Presse als Oscar-Vorhersage betituliert. Jedoch haben die Entscheidungen bei genauerer Betrachtung wenig Relevanz. Es gibt zwar einige Gemeinsamkeiten bei den Siegern, deren Zuverlässigkeit jedoch gerade bei “Best Picture“ und “Best Director“ streng in Richtung 50:50 schielt. Allerdings sind die Golden Globes durchaus ein gutes Stimmungsbarometer: Als 2009/2010 James Camerons Avatar abräumte, da konnte man in den Gesichtern der anwesenden Schauspielerelite gut ablesen, dass diese Entscheidung eher mit gemischten Gefühlen applaudiert wurde.

Wenn die Golden Globes wirklich so exakt den Sieger vorher bestimmen könnten, dann wäre die Oscar-Verleihung bereits seit Jahrzehnten “unspannend“. Die wahren “Schuldigen“ für die inzwischen herrschende Langeweile sind die Gilden, von denen die meisten seit Mitte der 1990er Jahre ihr eigenes Award-Süppchen kochen.

Egal ob Schauspieler, Drehbuchautoren, Regisseure oder Produzenten: Jeder dieser Berufsfelder feiert gut ein bis zwei Monate vor den Academy Awards ihre eigene Statuettenvergabe. Weil nun auch die Oscars von ausgesuchten Mitarbeitern der Hollywood-Maschinerie vergeben werden, gibt es naturgemäß eine Schnittmenge innerhalb der besagten Wählergemeinschaften. Zudem reden wir hier von der gleichen Klientel, die natürlich einen gemeinsamen Geschmack besitzt.

Nehmen wir alleine den “Screen Actor Award“, wo die Schauspieler seit 1994/95 ihre eigene Zunft honorieren: 70% aller Gewinner in den Kategorien Hauptdarsteller/-in und Nebendarsteller/-in haben anschließend auch den Oscar gewonnen. Noch krasser sieht es beim “Director Guild Award“ aus, der extra für die Regisseure gedacht ist: Der wird bereits seit 1949 vergeben, gleichwohl gerade mal bei sieben Preisträgern kein passender Academy Award folgte . Und bei dreien davon lag das eigentlich “nur“ daran, dass aus mysteriösen Gründen der mit dem DGA-ausgezeichnete Auteur erst gar nicht für den Oscar nominiert und somit bereits im Vorfeld um jegliche Siegchancen beraubt war.

Ich könnte ähnliche Statistiken für die Ausstatter, die Kameraleute, die Kostümjunkies oder die Tonkünstler heraus kramen. Abseits der “kleinen“ Kurzfilm-Kategorien gibt es wirklich nur einen einzigen Oscar, der relativ schwer vorherzubestimmen ist: den für die beste Musik. Und warum? Eben weil es keinen entsprechenden Gildenpreis gibt, der im Vorfeld verliehen wird.

Von Woody bis Scorsese

Geht es nach dem “Producer Guild Award“, so lauten die zehn besten Filme des Jahres 2013: 12 Years a Slave, Gravity, American Hustle, The Wolf of Wall Street, Dallas Buyers Club, Blue Jasmine, Captain Phillips, Her, Saving Mr. Banks und Nebraska. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences wiederum nominiert in der Kategorie “Best Picture“ fünf bis zehn Werke, wobei die genaue Anzahl durch ein recht kompliziertes Auszählungsverfahren bestimmt wird. Doch läuft es ähnlich wie in den letzten Jahren ab, dann werden acht der genannten Filme in der Tat ihre Chancen für den Filmpreis aller Filmpreise erhalten. – so sagt es jedenfalls die Statistik.

Der “Director Guild Award“ gilt als ein noch zuverlässiger Indikator, was die Oscar-Nominierungen anbelangt, weshalb wir uns auch deren Wahl über die fünf Top-Regiekünstler genauer anschauen: Alfonso Cuarón (Gravity), Steve McQueen (12 Years a Slave), David O. Russell (American Hustle), Paul Greengrass (Captain Phillips) und Martin Scorsese (The Wolf of Wall Street). Ihr könnt bereits jetzt all euer Geld darauf wetten, dass die Filme der ersten drei Männer im “Best-Picture“-Feld unterkommen. Auch Abseits das DGA-Indikators sind laut Insidern die jeweiligen Beliebtheitsgrade innerhalb der Academy immens, weshalb nach dem jetzigen Stand der Dinge glaubhafte Siegszenarien für jeden dieser Kandidaten existieren.

Captain Phillips wird wohl ebenfalls mit dabei sein, während The Wolf of Wall Street leicht auf der Kippe steht. Warum? Weil es im Anschluss einer exklusiv für Academy-Mitglieder bestimmten Vorführung zu einem kleinen Eklat kam, woraufhin Martin Scorsese wüst für sein neuestes Werk beschimpft wurde. Man darf nicht vergessen: Der gemeine Oscar-Wähler ist männlich, weiß und über 60. Im Gegensatz zu vielen beliebten Schauspielern gibt es doch einige schwer konservative Exemplare, die mit Sex, Drugs & Rock’n’Roll so ihre Probleme haben. Und The Wolf of Wall Street sei ein Film, dem von einigen Zynikern nachgesagt wird, er glorifiziere das Verbrechen – etwas, was bei den Oscars selten zu sehen ist.

Der Vorteil für The Wolf of Wall Street: Dank des wirklich komplizierten Nominierungsverfahrens (das ich bei Gelegenheit genauer erläutern werde) haben eher die Filme eine Chance, die von wenigen “geliebt“ als von vielen “gemocht“ werden. Genau genommen benötigt ein potenzieller Kandidat “nur“ eine Handvoll Erststimmen – darüber hinaus ist es völlig schnuppe, ob er von allen anderen Oscar-Wählern ebenfalls gemocht oder ganz im Gegenteil zutiefst verabscheut wird.

Die Vorhersage

Unterm Strich sehe ich folgende Filme nächsten Dienstag auf der Best-Picture-Nominierungsleinwand:

Absolut sicher:

  1. 12 Years a Slave
  2. Gravity
  3. American Hustle

Sieht gut aus:

  1. Captain Phillips (Breite Zustimmung bei den Gilden, auch wenn einige Kritikervereinigungen den Film vergessen zu haben scheinen. Aber die bestimmten keinen Oscarpreisträger…)
  2. Nebraska (Die Filme von Alexander Payne sind sehr beliebt bei der Academy und auf ihre Weise einzigartig.)
  3. Her (Von der Thematik her kein Oscar-Lieblingskind, aber ähnlich wie Sofia Coppolas Lost in Translation ein Film, der sehr enthusiastische Fans besitzt und somit genügend Erststimmen zusammen kriegen sollte. Wäre Regisseur Spike Jonze beim “Director Guild Award“ dabei, dann wäre sein Film bereits “sicher“ drin. So muss er noch etwas zittern.)

Realistische Chancen:

  1. Dallas Buyers Club (Vor der Nominierungsbekanntgabe diverser Gilden hat kaum einer den Film mit “Best Picture“ in Zusammenhang gebracht. Doch die sichtlich breite Zustimmung bei Schauspielern, Drehbuchautoren und Produzenten spricht eine eigene Sprache.)
  1. The Wolf of Wall Street (Statistisch gesehen sieht es super aus, allein dank der DGA-Nominierung. Aber die Gerüchteküche bezüglich der Abneigung seitens einiger Academy-Mitglieder schwebt wie ein Damokles-Schwert über Scorseses Kopf.)
  2. Saving Mr. Banks (Insider haben sich im Vorfeld mehr von dieser leichten Komödie rund um Walt Disney und P.L. Travers, der Autorin von Mary Poppins, versprochen. Doch das Thema ist und bleibt sehr Academy-freundlich.)

Nur mit Glück:

  1. Blue Jasmine (Jedes Jahr fällt mindestens einer der “Producer Guild Award“-nominierten Kandidaten über Bord und weil es sich hierbei eher um eine Cate-Blanchett-Show anstatt einen neuen Woody-Allen-Klassiker handelt, scheint es dieses Jahr Blue Jasmine zu treffen.)
  2. Inside Llewyn Davis (Der neue Film der Coen-Brüder war bis vor einer Woche noch ganz dick im Gespräch für eine “Best-Picture“-Nominierung, doch der komplette Ausschluss bei sämtlichen relevanten Gilden (insbesondere die der Drehbuchautoren) ist ein sehr bedrohliches Ausrufezeichen.)
  3. Lee Daniel’s The Butler (Hat bei der “Screen Actor Award“ noch gut abgeräumt, aber ansonsten gab es praktisch nichts und der Film gilt allgemein als eher mittelmäßig.)

Mein Tipp, was die Anzahl der nominierten “Best-Picture“-Filme anbelangt: acht – rein aus dem Bauch heraus.

Ansonsten möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Allgemein sollte man weniger mit Überraschungen bezüglich unerwarteter Nominierungen rechnen, als sich vielmehr auf die berühmt-berüchtigen Snubs einstellen. Sprich: Im Vorfeld als sicher geglaubte Namen, die bei der Bekanntgabe plötzlich fehlen – fragt mal bei Ben Affleck und Kathryn Bigelow nach…