SAG Nominierungen 2015/2016 …

…oder der Tag, an dem das Oscar-Rennen zerstört wurde.

Es wurde von Jahr zu Jahr leichter, die Gewinner der Oscar-Verleihung vorher zu sagen. Während die Hollywood Foreign Press Association immer noch denkt, dass ihre Golden Globes etwas zu sagen haben, sind es in Wahrheit die Gilden, die ähnlich wie die Academy of Motion Picture Arts and Sciences aus Mitgliedern der Branche bestehen. Deshalb kann man anhand deren Nominierungen und Gewinner mit großer Wahrscheinlichkeit voraussagen, wer oder was am 28. Februar 2016 den Goldjungen mit nach Hause nehmen könnte.

Die Screen Actor Guild (kurz SAG) lässt Schauspieler von Schauspielern auszeichnen. Es werden sowohl Filme als auch TV-Sendungen gewürdigt, wobei ich mich hier und jetzt auf ersteres beschränken möchte. Dann beschränken sich die heute bekannt gegebenen Nominierungen auf fünf Kategorien: Hauptdarsteller, Hauptdarstellerin, Nebendarsteller, Nebendarstellerin und Ensemble. Letzteres wird insgeheim als „Best Picture“-Preis der SAG bezeichnet, jedoch kommt dort auch ab und an einfach das größte, eindrucksvollste Schauspielerensemble zum Zuge (z.B. The Help oder Inglourious Basterds).

In diesem Jahr hat sich die SAG für folgende fünf Ensembles entschieden:

Beasts of No Nation (!)
The Big Short
Spotlight
Straight Outta Compton (!!)
Trumbo (!!!)

Das ist, zumindest aus Sicht der meisten Oscar-Prognostiker, eine immense Überraschung und gleichzeitig eine riesengroße Katastrophe.

Warum? Ganz einfach: Die meisten Oscarwatcher sagen bereits seit Monaten voraus, dass die diesjährige Oscarverleihung relativ schwer zu deuten sei. Es gebe keinen klaren „Frontrunner“, aber ein großes und vor allem enorm vielschichtiges Feld an tollen Filmen, denen allen irgendwie eine Chance eingeräumt werde. Im Laufe der Monate fluktuierten die folgenden Namen: Der Marsianer… The Revenant… Creed… Mad Max: Fury Road… Bridge of Spies… Carol… Brooklyn… Sicario… Joy… Steve Jobs… The Danish Girl… The Hateful Eight… und… Spotlight.

Die Nominierungen der SAG in Betracht gezogen wird schnell klar, dass es dort von all den genannten Favoriten nur ein einziger geschafft hat: Spotlight. Die anderen vier sind mehr oder weniger eine Überraschung – mit Ausnahme vielleicht von The Big Short, das eben aufgrund zahlreicher hochkarätiger Namen wie Christian Bale, Steve Carell oder Brad Pritt als dieser typische „Das könnte der eine Kandidat sein, den die SAG gegenüber den Oscars deutlich bevorzugt“-Film bezeichnet wurde.

Aber der Rest? Straight Outta Compton wurde selbst von seinen treuesten Fans als „Es wäre zu schön um wahr zu sein, aber es wird niemals passieren“ abgestempelt. Der Hype um Trumbo fand mehr im Vorfeld aufgrund von Bryan „Breaking Bad“ Cranston statt, während der Film letztlich mittelmäßige Kritiken erhielt. Und Beasts of No Nation? Aufgrund der schweren Thematik und der Netflix-Herkunft gingen viele davon aus, dass dieser Film von der Industrie eher gemieden werde – und schon gar keine Chance auf eine Nominierung bei der SAG für das beste Schauspielerensemble habe.

Mich persönlich macht das Fehlen von Ridley Scotts Der Marsianer und Danny Boyles Steve Jobs am meisten fertig. Nicht nur, weil ich die beiden Filme gesehen und jeweils für großartig empfunden habe: Auch dort wimmelt es nur so von hochkarärtigen Schauspielern, die allesamt eine astreine oder gar eine Best-Leistung abliefern.

Der Grund nun, warum das Oscar-Rennen praktisch zerstört ist: Es gibt da eine Statistik, die bislang nur im allerersten Jahr, in dem die SAG all ihre inzwischen gewohnten Auszeichnungen vergab, gebrochen wurde. Diese besagt: Ein Film kann nur dann den „Best Picture“-Oscar gewinnen, wenn er bei der SAG zumindest eine Nominierung für das beste Ensemble bekommen hat. Und nun ist plötzlich von den heiß gehandelten Oscar-Favoriten nur noch Spotlight übrig.

Aber es kommt noch schlimmer, denn die Nominierungen in den anderen Kategorien sind ebenfalls voller Außenseiter und fehlender Mitfavoriten:

Bester Hauptdarsteller

Bryan Cranston (Trumbo)
Johnny Depp (Black Mass)
Leonardo DiCaprio (The Revenant)
Michael Fassbender (Steve Jobs)
Eddie Redmayne (The Danish Girl)

Die Liste ist größtenteils so wie erwartet, mit Ausnahme von „Bryan Cranston ist drin“ und „Matt Damon (für Der Marsianer) ist draußen“. Damit wurde Ridley Scotts Film gar vollkommen ausgeschlossen, obwohl er zum Beliebtesten gehörte, was 2015 auf die Leinwand gezaubert wurde. Egal ob der durchschnittliche Kinobesucher, der Kritiker oder der Brancheninsider: Jeder mochte Der Marsianer. Immerhin hat es hier Michael Fassbender für Steve Jobs geschafft: Er und Leonardo DiCaprio gelten damit weiterhin als die beiden Vorreiter in dieser Kategorie, wobei ich inzwischen dann auch denke, dass es der Leo diesmal wirklich schaffen wird.

Beste Hauptdarstellerin

Cate Blanchett (Carol)
Brie Larson (Room)
Helen Mirren (Woman in Gold / Die Frau in Gold)
Saoirse Ronan (Brooklyn)
Sarah Silverman (I Smile Back)

Goodbye Jennifer Lawrence (Joy), auf Wiedersehen Charlotte Rampling (45 Years), au revoir Emily Blunt (Sicario) und vergiss es Charlize Theron (Mad Max: Fury Road). Das ebenfalls seit Monaten diskutierte Rennen reduziert sich laut der SAG auf Brie Larson und Saoirse Ronan. Aber, meine Güte: Helen Mirren für Woman in Gold? Und wie zum Geier kommt Sarah Silverman hier rein, an die wirklich NIEMAND gedacht hat, der irgendetwas mit Oscarwatchting zu tun hat? Nun, eine mögliche Antwort hierfür gebe ich zum Schluss.

Bester Nebendarsteller

Christian Bale (The Big Short)
Idris Elba (Beasts of No Nation)
Mark Rylance (Bridge of Spies)
Michael Shannon (99 Homes)
Jacob Tremblay (Room)

Dieses Rennen ist ähnlich zerstört wie das für „Best Picture“. Michael Keaton und Mark Ruffalo (jeweils für Spotlight) sind genauso raus wie Sylvester Stallone (Creed), der dann anscheinend doch seine Kollegen über die letzten Jahrzehnte zu sehr mit schlechten Leistungen angepisst hat. Der einzige im Vorfeld gehandelte Name, der noch übrig geblieben ist: Mark Rylance. Hat von den anderen vier einer eine Chance auf den Sieg (egal ob bei der SAG oder den Academy Awards)? Ja: Jacob Tremblay. Kinderschauspieler, die für ihre Hauptrolle als Nebendarsteller nominiert werden, sind IMMER eine Gefahr für die Konkurrenz…

Beste Nebendarstellerin

Rooney Mara (Carol)
Rachel McAdams (Spotlight)
Helen Mirren (Trumbo)
Alicia Vikander (The Danish Girl)
Kate Winslet (Steve Jobs)

Zu guter Letzt taucht auch hier Trumbo völlig überraschend auf, womit der Film die meisten Nominierungen (!) beim diesjährigen SAG abgestaubt hat. Die Spotlight-Fans atmen auf, dass es immerhin Rachel McAdams gepackt hat und die Oscarwatcher können sich weiterhin auf eine Schlacht zwischen Rooney Mara und Alicia Vikander freuen.

Und nun möchte ich beten: Nämlich das diese vermaledeiten Statistiken wenigstens dieses eine mal unrecht haben. Ich will nicht bereits am 9.Dezember.2015 wissen, welcher Film den Best-Picture-Oscar gewinnt. Ich möchte weiterhin auf eine ernsthafte Chance für solch Kaliber wie Der Marsianer, Carol oder von mir aus auch Mad Max: Fury Road hoffen dürfen. Es kann und darf jedenfalls nicht sein, dass die Industrie mit solchen Pre-Awards die ganze Spannung pulverisiert.

Vielleicht sind diese krassen Out-of-the-Box-Nominierungen in der Tat das Resultat eines Jahres, in dem es keinen gemeinsamen Nenner gibt. Man darf schließlich eines nicht vergessen: Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der Academy of Motion Picture Arts and Sciences sowie der Screen Actor Guild. Erstere besteht NUR aus Mitgliedern der Kinofilmbranche, letztere hingegen befragt auch die Fernsehlobby. Und dann sehen natürlich solche Nominierungen für Bryan Cranston oder Sarah Silverman schon ganz anders aus. Vor ein paar Jahren wurde beispielsweise der verstorbene James Gandolfini für einen SAG nominiert, aber nicht für den Oscar.

Deshalb heißt es Daumen drücken, abwarten, was die Producer Guild und die Director Guild zu sagen haben, und vor allem: Tod allen Statistiken!