Oscar-Analyse: Bester fremdsprachiger Film

Viele Cineasten beschweren sich alle Jahre wieder, die Oscar-Verleihung sei zu amerikanisch ausgerichtet – und würde allenfalls mal einen Briten zu Wort kommen lassen. Dabei ist man sich dieser Problematik durchaus bewusst, weshalb es eben die Kategorie des fremdsprachigen Filmes gibt. Dort erhalten eben jene Werke eine echte Chance auf Gold, die den Academy-Wähler trotz ihrer “befremdlichen“ Art allein mit ihrer Qualität überzeugen können.

Ida

Lange Zeit galt Ida aus Polen als einsamer Favorit: Die junge Novizin Anna wuchs ohne Eltern im Waisenhaus auf und steht kurz davor, ihr Leben als Nonne vorzubereiten. Doch bis es soweit ist, soll sie sich mit ihrer Tante Wanda auseinander setzen, der einzig noch lebenden wie bekannten Verwandten. Diese lebt ein bedeutend freizügigeres Leben, mit viel Akohol und ständig neuen Liebhabern. Entsprechend prallen zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander, mit denen beide zunächst schwer klar kommen.

Ich mag Ida – aber ehrlich gesagt wundert es mich schon ein wenig, wo diese Favoritenrolle herrührt. Mit beklemmenden Schwarz-Weiß-Bildern und einem eingeengten 4:3 Format kommt der Film sehr bieder und unfreundlich daher. Freilich steckt dahinter ein Kalkül, denn die Geschichte möchte ohne großes Brimborium oder Schönrederei erzählt sein. Aber so viel “Realität“ dürfte nicht jedermann Geschmack sein.

Leviathan

Dies gilt noch viel mehr für den russischen Beitrag, der bereits den Golden Globe eingeheimst hat und für den ich persönlich einen tief gehenden Hass empfinde. Nikolai steht kurz davor, sein Haus an die Stadt zu verlieren. Bereits seit Jahren leistet er sich einen bitteren Rechtsstreit gegen den hiesigen Bürgermeister, jedoch ohne Erfolg. Erst ein guter Freund und Anwalt kommt auf eine gewagte Idee: Er solle eine Schmutzkampagne gegen den Bürgermeister starten, in dem er irgendwelche zweifelhaften Missetaten ausgräbt und ihn damit erpresst.

Während der Plotansatz noch recht vielversprechend klingt, driftet Leviathan ungefähr zur Mitte in eine ganz andere sowie immens frustrierende Richtung. Regisseur Andrei Swjaginzew sieht sein Werk als eine Modernisierung des Buch Hiob – und bei aller Liebe, aber das ist in Anbetracht der Ereignisse und vor allem des Endes eine sehr gewagte Interpretation.

Im Prinzip macht Leviathan kaum etwas falsch und ist rein handwerklich betrachtet sogar einer der besten Filme des Jahres. Aber inhaltlich hat mich die Geschichte und deren Verlauf einfach nur wütend gemacht, weshalb all die Qualität dahinter für meine Begriffe ins Nirvana verpufft.

Timbuktu

Eine ebenfalls schwere Kost, die mit dem Thema Ungerechtigkeit hantiert, ist der mauretanische Beitrag namens Timbuktu. Darin wird das Leben einzelner Stadtbewohner gezeigt und wie diese mit der Unterdrückung einer Al-Qaida-ähnlichen Gruppe von Dschihadisten klar kommen müssen. Anfangs möchte Timbuktu noch so etwas Mut und Lebensfreude suggerieren, wenn beispielsweise der zufriedene Familienvater mit seiner Frau redet oder Jugendliche sich zum heimlichen Spielen von Musik treffen. Doch je weiter der Film voranschreitet, desto mehr wird klar, dass die Waffengewalt der Unterdrücker nahezu jede Form der Freiheitsbekundung zu verhindern wissen.

Timbuktu ist phasenweise ähnlich frustrierend wie Leviathan, aber in einem Rahmen, wie es die Thematik bereits im Vorfeld suggeriert. Dazwischen gibt es immer wieder einen Schimmer der Hoffnung und vor allem einige atemberaubend schöne Bilder, die das Wüstenleben rund um die Stadt in einem glänzenden Licht zeigen. Somit ist Timbuktu zwar nicht meine erste, aber eine gute Wahl.

Tangerines

Spielt im Jahre 1992 zur Zeit eines Sezessionskrieg, bei dem sich die Region Abchasien von Georgien abzuspalten versuchte. In einem kleinen Dorfe leben nur noch zwei Männer, die Zeuge eines Konfliktes zweier Parteien werden. Am Ende überleben jeweils nur eine Person: ein Soldat aus Georgien und ein Söldner aus Tschetschenien, der auf Seiten von Abchasien kämpft. Sie werden von den Dorfbewohnern verarztet und versorgt, was zunächst auf gegenseitiges Missfallen stößt. Doch im Laufe der Zeit merken sie, dass sie einige Gemeinsamkeiten besitzen und es eigentlich viel klüger sei, zusammenzuarbeiten anstatt gegeneinander zu kämpfen.

Ihr merkt es bereits an der Zusammenfassung: Tangerines strotzt nicht gerade vor Originalität, sondern zeigt ganz im Gegenteil eine typische Szene aus einer typischen, vom Krieg gebeutelten Region. Aber genau das macht der Film recht gut, weshalb Spannung und Interesse bis zum Ende aufrecht erhalten bleiben. Besonderes Lob verdient Lembit Ulfsak, der einen der Dorfbewohner spielt, und der wie eine gute Seele den gesamten Plot zusammenhält. Unterm Strich kein Film, der gewinnen sollte, aber sehr wohl einer, der sich seine Nominierung redlich verdient hat.

Wild Tales

Das beste kommt zum Schluss – und ich werde hier mit am lautesten jubeln, wenn einige besonders mutige Oscarblogger recht haben und der Underdog aus Argentien siegt. Wild Tales ist eine Ansammlung von sechs Kurzgeschichten, die sich allesamt um Rache und Verrat drehen. Mir fällt es deshalb auch schwer, eine Zusammenfassung der Handlung zu bieten – deshalb nur so viel: Bereits der Prolog ist höchst originell und zynisch bis ins Mark. Die Idee ist eigentlich völlig abstrus, wird aber derart brillant umgesetzt, weshalb man ihn trotz des tiefschwarzen Humors nur lieben kann.

Auch die anderen Geschichten sind ungeheuer clever gemacht und größtenteils herrlich witzig gestaltet. Allerdings gibt es auch die eine oder andere Episode, die eher ins dramatische abrutscht – und nur die wenigsten enden in einer Art Pseudo-Happy-End. Und auch das ist letztlich eine Stärke von Wild Tales, weil ihr wirklich nie wisst, wie welche Geschichte ausgeht. Es ist ein Feuerwerk an skurrilen Ideen und überspitzter Situationskomik, die meist in bewusst übertrieben dargestellter Gewalt endet und allein dafür den Oscar verdient.

  1. Wild Tales
  2. Ida
  3. Timbuktu
  4. Tangerines
  5. Leviathan