Oscar-Analyse: Bester Kurzfilm

iTunes sei dank konnte ich mir nun zum siebten Mal problemlos wie legal sämtliche Oscar nominierten Kurzfilme anschauen – etwas, was ich jedem Filmliebhaber nur ans Herz legen kann. Denn hier bekommt der Zuschauer komprimierte Kleinode zu Gesicht, die frei von Hype oder dergleichen sind.

Parvaneh

Parvaneh ist ein junges Mädchen aus Afghanistan, das ohne ihre Eltern in der Schweiz lebt. Vom kränklichen Zustand ihres Vaters aufgeschreckt, fährt sie in die Großstadt, um ihre Ersparnisse in die Heimat zu schicken. Doch weil sie weder volljährig ist noch einen gültigen Ausweis besitzt und zudem ihre Deutschkenntnisse alles andere als sattelfest sind, ist sie auf fremde Hilfe angewiesen. Diese taucht in Form eines Punkmädchens auf, das zunächst als Gegenleistung einen Anteil der Ersparnisse verlangt, sich jedoch letztlich mit Parvaneh anfreundet und erstaunlich schnell eine enge Bande mit ihr knüpft.

Hört sich cheesy und klischeetriefend an? Ist es auch – und genau deshalb ist der Film auch gut. Normalerweise tendieren Werke in dieser Kürze zu Drama oder Katastrophen. Parvaneh hingegen ist fast schon wie eine Kindergeschichte, mit der Moral und dem Herz am rechten Fleck. Die Geschichte zeigt in der Tat keine Besonderheiten, aber Regie und Schauspieler treffen einfach den richtigen Ton. Kurz: Parvaneh ist vielleicht nicht brillant, jedoch sehr sympathisch.

The Butter Lamp

Jetzt wird es abenteuerlich, denn The Butter Lamp ist für meine Begriffe einer der bizarrsten Filme der Menschheitsgeschichte. Fast eine Viertelstunde lang bleibt die Kamera starr und blickt dabei auf eine bemalte Hintergrundkulisse, die alle paar Minuten gewechselt wird. Davor stellen sich tibetanische Nomaden, während ein chinesischer Fotograf Anweisungen erteilt, wie sie stehen und welche Kleidung sie tragen sollen. Am Ende wird stets ein Foto geschossen, worauf das Bild kurz schwarz wird und die nächsten Tibetaner herbei gerufen werden.

Am Ende gibt es noch eine kleine Pointe, die ich nicht verraten möchte. Aber ohne Witz: Ansonsten passiert da nichts – und trotzdem hätte The Butter Lamp meine Stimme. Die Art, wie der Fotograf mit den Nomaden umgeht, ist irgendwie interessant und irgendwie witzig. Man merkt anhand der mal sehr steifen und mal sehr unversicherten Reaktionen der Bewohner, das sie vermutlich noch nie vor einer Kamera standen. Umso skurriler wirken dann einzelne Szene, in denen sich ein frisch vermähltes Paar auf ein hochmordernes Motorrad hockt oder eine alte Frau, die geistig nicht mehr ganz auf der Höhe ist, vor einem Disneyland-Plakat Platz nimmt.

Die ganze Zeit fragt ihr euch, ob es sich hierbei wirklich um einen “fiktiven“ Kurzfilm oder nicht doch um eine verkappte Dokumentation handelt. Aber laut Regisseur Wei Hu gab es ein Drehbuch und klassische Regieanweisung, gleichwohl er sich tatsächlich Eingeborene aus Tibet geschnappt hat, die noch nie einem Film mitgewirkt haben.

Wie gesagt: Es passiert nichts. Trotzdem ist The Butter Lamp interessant. Und das reicht für mich, ihn mehr als zu mögen.

The Phone Call

Geht man nach den Oscarbloggern, dann wird The Phone Call den Oscar mit nach Hause nehmen. Ginge es nach mir… nun, es ist ein zweifelsohne starker Film: Sally Hawkins spielt eine soziophobe Frau, die trotz ihrer Angst vor fremden Menschen als Telefonisten in einer Art Notruf-Hotline arbeitet. Sie erhält auch an diesem Tag einen Anruf eines verzweifelten Menschen, der zunächst nur am Schluchzen ist und kaum ein Wort heraus bringt. Nach und nach erfährt sie, dass er Tabletten geschluckt und nie den Tod seiner vor zwei Jahren verstorbenen Frau verkraftet habe.

Der Mann wird von Jim Broadbent gesprochen, den ihr zu keinem Zeitpunkt zu Gesicht bekommt – ihr hört nur seine Stimme, die an Intensität und Glaubwürdigkeit kaum zu überbieten ist. Zusammen mit Hawkins, die ebenfalls ein Gefühlsachterbahn sondergleichen hinlegt, ist The Phone Call ohne Witz der Kurzfilm mit der besten schauspielerischen Leistung, den ich je gesehen habe. Mit Abstand, möchte ich hinzufügen.

Aber, bei Gott… das Ende. Was hat sich Regisseur Mat Kirkby nur bei diesem völlig verhunzten Ende gedacht? Ich rede nicht vom Inhalt, nein: Die Geschichte endet stimmig und passend. Aber die Inszenierung wird spätestens durch ein brutal schnulziges Lied regelrecht vernichtet. Und auch zu Beginn setzt Kirkby sanft Musik ein, die dem gesamten Stoff einen unprofessionellen oder besser gesagt laienhaften Touch verleihen.

Und nun kommt eben mein Problem: So grandios Hawkins und Broadbent auch sind – der Oscar würde an Kirkby gehen. Der hat natürlich seine Schauspieler gut geleitet und darüber hinaus einen sehr guten Regiekniff eingesetzt (Stichwort “tickende Uhr“). Jedoch dieses Ende… Himmel nochmal, war das wirklich nötig?

Aya

Der längste der fünf nominierten Kurzfilme ist auch der unspektakulärste. Eine Frau namens Aya steht am Flughafen und wird von einem Chaffeur angesprochen, sie solle doch bitte kurz sein Schild halten und seinen Fahrgast abfangen. Aya willigt ein und macht sogleich Bekanntschaft mit Mr. Overby, der wiederum sie für seinen Fahrer hält. Sie macht das Spielchen mit und fährt ihn zum Hotel, das er gebucht hat.

Ein Großteil des Filmes findet während der Autofahrt statt, die die beiden Protagonisten miteinander teilen. Ähnlich wie Parvaneh stimmt eigentlich alles, von der Inszenierung bis zu den Darstellern. Aber noch mehr fehlt Aya so etwas wie Spannung, weil der gesamte Stoff inklusive des Endes doch arg vorhersehbar ist. Es ist beileibe kein schlechter Film, aber er zieht sich unnötig und konnte ich zu keinem Zeitpunkt wirklich fesseln. Nur die allerletzte Einstellung ist hervorragend gelöst und gehört gefeiert.

Boogaloo and Graham

Jedes Jahr gibt es einen Kurzfilm, der eher ins Lustige abdriftet – und 2014 ist da keine Ausnahme. Boogaloo and Graham erzählt die Geschichte zweier Brüder, die von ihrem Vater zwei Küken geschenkt bekommen. Die beiden sind total vernarrt in die Tiere und behandelt sie wie andere ihre Katzen oder Hunde. Einzig die Mutter ist genervt und möchte die später ausgewachsenen Vögel am liebsten loswerden. Und als die Frau erneut schwanger wird, da sieht sie ihre Chance, gemeinsam ihre Jungs dazu zu überreden, auf ihre Haustiere zu verzichten.

Was daran witzig sein soll? Nun, während der Grundplot zwischen harmlos und ernst schwankt, sind es einzelne Sätze der beiden Kinder, die vortrefflich geschrieben und übermittelt werden. Boogaloo and Graham verbirgt eine subtile Form des Humors, wenn beispielsweise die beiden Brüder des Nachts unter ihrem selbst gebastelten Zelt über ihre Küken reden, man im Hintergrund gaaaaaaaaanz leise das Stöhnen der Eltern vernehmt und am Ende des Dialogs der jüngere plötzlich zum älteren knochentrocken meint: “Ist Mama eigentlich eine Hure?“

Abseits dieser amüsanten Einlagen ist Boogaloo and Graham keinen Oscar wert – aber diese kleinen Feinheiten sorgen dafür, dass ich mich nicht über einen Überraschungssieg beschweren würde.

  1. The Butter Lamp
  2. Parvaneh
  3. Boogaloo and Graham
  4. The Phone Call
  5. Aya