Oscar-Analyse: Bester Dokumentarfilm

Vorweg: In Punkto Dokumentarfilmen bin ich alles andere als ein Experte. Ein Großteil derer, die ich gesehen habe, ist Oscar nominiert – und kaum einer davon älter als zehn Jahre. Gleichwohl habe ich es diesmal noch nie so früh geschafft, das diesjährige Nominierungsquintett zu Gesicht zu bekommen.

CITIZENFOUR

Den Start macht der Frontrunner, der allein aufgrund seiner Thematik die Nase vorn hat. CITIZENFOUR dokumentiert vornehmlich jene Tage, in denen Edward Snowden sich zum Verrat der NSA entschloss. Genau genommen sprach er fast eine Woche lang in einem Hotel in Hongkong mit den Journalisten Glenn Greenwald und Ewan MacAskill sowie der Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die wiederum die Neuigkeiten über die NSA-Spionage der ganzen Welt zugänglich machten. Snowden wurde dabei von Poitras gefilmt und das daraus enstandene Material bildet den Kern von CITIZENFOUR.

Was soll ich sagen? Im Prinzip ist es wenig spektakulär, was unterm Strich herauskommt. Das meiste weiß man bereits beziehungsweise man kann es sich denken, weshalb der Dokumentarfilm eher interessant für jene ist, die den Menschen Edward Snowden und seine Beweggründe für seine Handlungen kennenlernen möchten. Dafür ist der Film gut genug und er wäre auch kein unwürdiger Preisträger, auch wenn ich ihn persönlich nicht wählen würde. Dafür ist er dann doch zu “simpel“ gestaltet und ruht sich meiner Meinung nach zu sehr auf der (durchaus brisanten) Thematik aus, während hinter einigen der anderen Kandidaten bedeutend mehr Aufwand steckt.

 

 

Das Salz der Erde

Meine Stimme geht ganz eindeutig an Wim Wenders – mal wieder, denn der Mann hat mich bereits vor ein paar Jahren mit Pina schwer beeindruckt. Das Salz der Erde zeigt das Schaffen des Fotographen Sebastião Salgado, der im Laufe seines 70 Jahre alten Lebens die halbe Welt besucht und seine Reisen in Form von dicken Bildbänden abgelichtet hat. Zunächst begibt er sich in eine Krisennation nach der anderen und wird Zeuge besonders hässlicher Verbrechen, darunter die Ausbeutung der Arbeiter in der brasilianischen Goldmine Serra Pelada oder der Genozid in Ruanda. Die menschlichen Gräueltaten und Massaker, die er Salgado persönlich miterlebt hat, haben ihn halb wahnsinnig gemacht.

Am Ende sieht er nur einen Ausweg: zurück zur Natur. Und diese hat nicht nur sein Seelenheil gerettet, sondern ihm auch in einer gewissen Form gezeigt, dass noch nicht alles verloren ist – inwiefern möchte ich nicht verraten. Das Salz der Erde ist jedenfalls ein ganz seltener Dokumentarfilme, nachdem ich mich ganz in die Person hineinfühlen konnte, die er behandelt. Ich sehr nicht nur Salgados Bilder, sondern ich spüre, was der Mann dabei gelitten haben muss.

 

 

Virunga

Der zweite Dokumentarfilm, der mich persönlich schwer beeindruckt hat, heißt Virunga und ist für jedeman zugänglich, der Zugang zu einem Netflix-Account hat. Benannt nach dem gleichnamigen Nationalpark im Kongo, zeigt der Film zunächst eines der letzten Freigehege der Berggorillas. Die vor Ort arbeitenden Ranger setzen all ihre Kraft ein und ihr eigenes Leben aufs Spiel, um den Park gegen militante Rebellengruppen und gierige Ölbohrfirmen zu verteidigen.

Das interessante an Virunga ist die Erzählstruktur, die mehr an ein Drama anstatt an einen Dokumentarfilm erinnert. Die Situation wirkt derart brisant und “spannend“, dass der Stoff reif für einen Hollywoodfilm wäre – nur das man eine solche Mainstream-untaugliche Geschichte leider nur schwer einem Millionen schweren Publikum “verkaufen“ könnte. Doch das braucht es auch nicht: Virunga ist bereits in dieser Form interessant, aufwühlend und erstaunlich packend genug.

 

 

Finding Vivian Maier

Beim nächsten Kandidaten wurde mir beim Zusehen leicht mulmig – weil mir manche Aspekte nämlich sehr bekannt vorkamen. Vivian Maier war eine alte Frau, die vor ein paar Jahren vereinsamt verstorben ist. Ihr Hab und Gut wurde gegen Ende ihres Lebens zwecks Tilgung von Mitschulden versteigert, wobei ein Mann namens John Maloof nichtsahnend eine ihrer Kisten ergatterte, in der er Tausende von unentwickelten Negativen fand. Die darauf zu sehenden Bilder zeigen vornehmlich Passanten der Stadt Chicago, in einer erstaunlich gut erhaltenen Qualität und in einer durchaus professionell wirkenden Pose. Maloof machte sich auf die Suche nach den anderen versteigerten Kisten und fand schlussendlich satte 100.000 Fotos, die Vivian Maier in ihrem Leben geschossen haben muss.

Der Film dreht sich primär um eine Frage: Wer zum Geier war die Frau und warum hat sie nie etwas über ihr “Lebenswerk“ verlautbaren lassen? Auf mich wirkte vor allem ihr Messi-Verhalten und ihr dokumentierter Wutausbruch, nachdem ein paar ihrer gesammelten Zeitungen weggeworfen wurden, beängstigend echt – denn ich kenne ein solches aus meinem persönlichen Bekanntenkreis nur allzu gut. Somit kann ich Finding Vivian Maier in jedem Fall ein gewisses Maß an Authentizität bescheinigen, auch wenn das Thema an sich bei weitem nicht so bewegend und wichtig erscheint, wie das der anderen nominierten Dokumentarfilme.

 

 

Last Days in Vietnam

Den Abschluss macht Rory Kennedy, ihres Zeichen die jüngste Tochter von Bobby Kennedy und somit die Nichte von niemand anderem als John F. Kennedy. Sie nahm sich des Vietnamkrieg-Themas an, auch wenn es sicherlich einigen zum Hals raus hängen könnte. Die Existenzberechtigung von Last Days in Vietnam zieht der Film aufgrund der namensgebenden Zeitperiode: Hier geht es ausschließlich um die letzten Wochen des Krieges, in denen die Nordvietnamesen in Saigon einmarschieren, viele Südvietnamesen verzweifelt die Flucht ergreifen und die Amerikaner mit sich am Hadern waren, inwiefern sie sich nun noch einmischen sollten – obwohl Präsident Ford just zuvor den Rückzug aus der Region erklärt hatte.

Im Prinzip hat Rory Kennedy einen guten Film gedreht, der glaubwürdig und nachvollziehbar die besagten Ereignisse schildert. Jedoch fiel es mir schwer, das Interesse aufrecht zu erhalten. Das mag vielleicht an der Thematik liegen, jedoch sollte ein grandioser Dokumentarfilm auch Leute ansprechen, die neben dem Tellerrand stehen. Und das schafft Last Days in Vietnam in meinen Augen nicht, weshalb ich ihn als den schwächsten Film des nominierten Quintetts ansehe.

 

 

Somit bleibt nur meine Rangreihenfolge, die ich bereits im Text angedeutet habe:

  1. Das Salz der Erde
  2. Virunga
  3. CITIZENFOUR
  4. Finding Vivian Maier
  5. Last Days in Vietnam