Oscar-Analyse 2014/2015: Beste Filmmusik

Bis zur Oscar-Verleihung am 22.Februar diesen Jahres möchte ich sämtliche Kategorien durchgehen und bezüglich der jeweils nominierten Kandidaten näher beleuchten. Die Reihenfolge hängt schlicht und ergreifend davon ab, wann ich welche Filme zu Gesicht bekomme. Es ist jedenfalls purer Zufall, dass ich in diesem Jahr ausgerechnet das Quintett meiner Lieblingskategorie zuerst vollständig abhaken konnte: das der besten Filmmusik.

Mr. Turner (Gary Yershon)

Die größte Überraschung, die hier am Tag der Nominierungsbekanntgabe aufploppte, war eindeutig Gary Yershon für Mr. Turner. Es ist die erste Honorierung für den Briten seitens der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, der bereits zuvor zwei Filme von Mike Leigh vertonte und bei keinem auch nur in einer Diskussion bezüglich der Oscar-Verleihung zur Sprache kam. Nun hat er es gleich mit einer besonders ungewöhnlichen Leistung geschafft, wobei dies sowohl positiv als auch negativ gemeint ist. Die Musik klingt schwer und atonal, obwohl sie auf klassische Orchesterinstrumente aufbaut. Sowohl die dominierenden Saxophone als auch das später einsetzende Streichquintett können regelrecht schmerzen, was durchaus zum verstörenden Protagonisten des Filmes passt. Aber insgesamt hinterlässt die Musik einen unangenehmen Eindruck, weshalb ich weiterhin verwundert über die Nominierung bin.

 

 

The Grand Budapest Hotel (Alexandre Desplat)

Alexandre Desplat war noch vor über zehn Jahren eine völlig unbekannte Persönlichkeit, was sich seither dramatisch geändert hat. Er durfte jüngst seine siebte und achte Oscar-Nominierung feiern, für zwei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Mit The Grand Budapest Hotel zeigt er erneut nach Fantastic Mr. Fox und Moonrise Kingdom, wie humorvoll Filmmusik sein kann. Die Melodien sind nicht nur einfach, heiter und beschwingt, sondern feiern dank solch eher “freakige“ Instrumente wie das Alphorn, das Glockenspiel oder die Zither ihre Einmaligkeit. Selten klang eine Soundtrack gleichzeitig so simpel und so innovativ, was Desplat am Ende sogar zum Sieg verhelfen könnte.

 

 

The Imitation Game (Alexandre Desplat)

Persönlich bin ich dieses Jahr hin- und her gerissen, weil Desplats Hauptthema zu The Imitation Game das in meinen Ohren mit gebürtigem Abstand beste Filmmusikstück des vergangenen Jahres gewesen ist. Es ist pure Perfektion, wie der Franzose die zentralen Aspekte des Filmes in zweieinhalb Minuten packt: Es ist flott und aufpeitschend (aufgrund des Zeitdrucks, unter dem Alan Turing stand), aufbauend und erhabend (dank der Wichtigkeit und des Erfolges seiner Arbeit), traurig und tragisch (wegen des finalen Schicksals, das er am Ende ertragen muss). Der Rest des Soundtracks klingt zwar bedeutend gewöhnlicher, jedoch ist das zentrale Thema derart prägend, weshalb es sich wohlig über die komplette Spielfilmlänge und weit darüber hinaus in euer Hirn brennt.

 

 

Interstellar (Hans Zimmer)

Der einzige Mann, der 2014 mit der Genialität Desplats mithalten konnte, ist der gute Hans, der Zimmer, der mit Interstellar für sich ein neues Lieblingsinstrument entdeckt zu haben scheint. Wir sind von Zimmer gefühlt seit der Geburt Christi bombastische Töne und ewig währende Klangteppiche gewohnt, die nun mit Hilfe einer majestätischen Orgel in neue Dimensionen gehievt wird. Damit bricht der gebürtige Deutsche zwar erneut das ehrbare Gesetz, mit seiner Musik nicht zu sehr vom eigentlichen Filmgeschehen abzulenken – aber irgendwie sind wir von dem Mann nichts anderes gewohnt.

 

 

Die Entdeckung der Unendlichkeit (Jóhann Jóhannsson)

Den Abschluss macht der vermeintliche Favorit, der immerhin nach den Golden Globes als Sieger nach Hause kehrte und bereits seit Monaten als sicherer Oscar-Kandidat gilt: Jóhann Jóhannssons Die Entdeckung der Unendlichkeit. Und auch auf ihn könnte ich nicht wirklich grantig sein, wenn er von der Academy ausgezeichnet wird. Seine Arbeit ist mit Abstand die Bodenständigste innerhalb des Quintetts, aber auch die “gewöhnlichste“. Mit viel Klavier, gut platzierten Streichern und zartem Xylophon-Einsatz setzt Jóhannsson auf viele vertraute Klänge. Er verzichtet auf ein prägnantes Hauptthema oder langanhaltende Stücke und setzt dafür auf Abwechslung, weshalb er einerseits stets präsent ist und andererseits nie nervt.

 

 

Mein Kreuzchen würde entweder an The Imitation Game oder The Grand Budapest Hotel gehen, wobei ich niemals gedacht hätte, dass mich Alexandre Desplat derart begeistern könne – und erst recht nicht mit gleich ZWEI seiner Werke auf einen Schlag. Zimmers Interstellar liegt nur hauchdünn dahinter – und primär deshalb, weil ich dem guten Hans bereits in den Jahren 1998 oder 2009 die Statuette gegönnt hätte.

Da es noch etwas früh und dies hier der erste Oscar-Analyse-Bericht für das Jahr 2014 ist, verzichte ich (noch) auf eine Prognose, was nun letztlich bei den Academy Awards ausgezeichnet werden könnte. Typische Indikatoren, wie ein Film, der a) durch die Bank begeistert, b) ansonsten leer ausgehen würde oder c) dessen Musik besonders originell klingt, sind diesmal weniger von Bedeutung. Der Grund? Nun: Ersteres hätte allenfalls Boyhood betroffen, der hier nicht nominiert ist. Zweiteres könnte für Die Entdeckung der Unendlichkeit oder The Imitation Game zutreffen. Und letzteres passt sowohl zu The Grand Budapest Hotel, Interstellar als auch Mr. Turner.

Abschließend meine persönliche Rangliste der fünf Nominierten:

 

  1. The Imitation Game
  2. The Grand Budapest Hotel
  3. Interstellar
  4. Die Entdeckung der Unendlichkeit
  5. Mr. Turner