Darkest Hour (Die dunkelste Stunde)

Es gibt viele gute Filme – doch was zeichnet eigentlich einen sehr guten oder gar hervorragenden aus? Also einen ernsthaften Kanditen für einen “Best Picture”-Preis, egal ob er von der Academy of Motion Picture Arts and Science, den Golden Globes oder einer seriösen Zeitung vergeben wird?

Meist sind es verschiedene Aspekte, die sich zu einer großen Einheit bilden. Das Drehbuch sollte stimmig sowie interessant sein, die Kamera tolle Bilder einfangen und der Regisseur alles bis ins kleinste Detail im Überblick haben. Doch manchmal reicht eine besondere Größe aus, um gesondert aufzufallen…

Wir schreiben das Jahr 1940: Der zweite Weltkrieg nimmt bereits halb Europa ein und das Nazi-Regime scheint kaum noch zu stoppen. Der englische Premierminister Neville Chamberlain gibt sein Amt auf und ernannt trotz Vorbehalte innerhalb der eigenen Partei Winston Churchill zum Nachfolger. Schließlich gehörte er zu den wenigen Politikern, der von Beginn an Adolf Hitlers wahre Motive befürchtete.

Churchill sieht den Krieg demzufolge als notwendig und ist gegen jegliche Verhandlungen mit Hitler, dessen vermeintlichem Friedensangebot er nicht traut. Doch der Siegeszug der Nazis in Europa und insbesondere in Frankreich bereitet vielen Angst, weshalb der Druck auf Churchill wächst. Zudem sitzen in Dunkirk hundertausende Soldaten fest und warten verzweifelt auf ihre Rettung, von der niemand weiß wie sie aussehen soll. Ein Pakt mit Hitler würde viele Probleme lösen, so möchte man meinen…

Darkest Hour ist ein klassisches Bio-Pic, vermischt mit einer gehörigen Portion Drama und der Biegung historischer Fakten. Joe Wright ist ein bekannter Routinier, der vor zehn Jahren mit der meisterhaften Buchverfilmung Atonement (auf Deutsch Abbitte) auffiel, aber seither eher leise Arbeiten als Regisseur abliefert. Das gilt weitesgehend auch für Darkest Hour, ein Werk das in dieser Form wohl von vielen Filmschaffenden abgeliefert worden wäre.

Wrights Talent blitzt nur in wenigen Sekunden auf, wenn er beispielsweise die Kamera aus der Vogelperspektive über ein abgedunkeltes Schlachtfeld bewegt und nahtlos in das verdreckte Gesicht eines toten Soldaten versteckt, oder den Tonabmischer freien Lauf lässt, um ein akustisch schlecht verständliches Telefonat zwischen Churchill und dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu realisieren.

Ansonsten ist Wrights fehlende Handschrift ein exemplarisches Beispiel für das grundlegende Problem von Darkest Hour: Wozu braucht man diesen Film? Gab es nicht schön genügend Dramen, die sich in allen möglichen Facetten mit dem zweiten Weltkrieg beschäftigten? Und dann wird auch noch eine Zeit behandelt, der nur wenige Monate zuvor in Christopher Nolans Dunkirk aus einer anderen Perspektive betrachtet wurde? Oder weshalb benötigen wir noch eine Verfilmung über Winston Churchill, der gerade im letzten Jahr beginnend mit der Netflix-Serie The Crown bis zum unbekannten Churchill mit Brian Cox im Überfluss Berücksichtigung fand?

Der Grund hat einen Namen: Gary Oldman.

Meine Befürchtung waren groß, nachdem ich den Trailer zu Darkest Hour sah: Oldman würde nie und nimmer auf dem gleichen Level spielen wie John Lithgows perfekte Performance in The Crown. Jeder werde die beiden miteinander vergleichen und Lithgow am Ende aufgrund seiner unschlagbaren Leistung einen gewaltigen Schatten über Oldman werfen.

Tja, die Befürchtungen waren ungerechtfertigt: Denn Gary Oldman spielt einen völlig anderen Churchill, ohne ihn zur Unkenntlichkeit zu verstellen.

Es mag an den unterschiedlichen Zeiten liegen (Lithgows Churchill ist schließlich gute zehn Jahre älter), weshalb der Vergleich letztlich kaum zur Sprache kommt. Oldman ist weniger knatterig und dafür mehr verunsichert, was zur damaligen Situation, in welcher sich der wahre Churchill befand, sicherlich passt. Der Schauspieler wirkt menschlicher, was das Verhalten anbelangt, und überzogener bezüglich seines Aussehens. Hätte er Churchill nur eine Nuance überspitzter dargestellt, die Figur wäre zur Karikatur verkommen. Doch so hält Oldman die Balance zwischen einem dicken, kauzigen Mann und einer angehenden Legende.

Meine Einleitung suggeriert, dass Gary Oldmans Leistung der einzige Grund sei, warum der gesamte Film für den Best-Picture-Oscar nominiert ist. Das ist nicht 100% korrekt: Zum einen sind einzelne technische Aspekte durchaus beachtenswert, allen voran die Kameraarbeit mit ihren düsteren und zugleich kräftigen Farben, oder die atmosphärische Kulisse. Zum anderen steht Gary Oldmans nahezu sicherer Oscar-Sieg als bester Hauptdarsteller ganz im Trend vorhergehender Verleihungen, in denen Schauspieler gemeinsam mit den Experten der Make-up-Abteilung eine unglaubliche Tranformation gelingt.

“Unglaublich” ist hier wörtlich zu nehmen, denn niemand erkennt Oldman ohne Vorkenntnisse über den Film unter Churchills-Maske. Dazu kommt eine Stimme, mit der sich der gebürtige Engländer vollends verbiegt. Überhaupt: Wer ist auf diese total verrückte Idee gekommen, ausgerechnet diesen Mann für diese Rolle vorzuschlagen? Wer zum Geier sah solch eine Figur in einem Schauspieler, der seinen Bekanntheitsgrad vornehmlich als Stansfield in Leon der Profi, Jim Gordon in Nolans Batman-Trilogie oder Sirius Black in den Harry-Potter-Filmen aufgebaut hat? Da muss jemand eine sehr gewagte wie einmalige Vision gehabt haben – und dann geht der Clou auch noch auf!

Zweifelsohne verdankt Darkest Hour all seine Oscar-Chancen Gary Oldman. Er trägt eine Geschichte, die im Kern nicht so wirklich interessant ist und gefühlt schon hundertmal erzählt wurde, und macht daraus ein kleines Stückchen Kinogeschichte. Zwar liegt der Film für viele am unteren Ende der Skala der neun Best-Picture-Kandidaten 2017. Doch die meisten Experten sind sich einig: Es gab schon deutlich schwächere Schlusslichter…

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Bester Hauptdarsteller (Gary Oldman), Beste Kamera, Bestes Produktionsdesign, Beste Kostüme, Bestes Make-up & Haarstyling.