Game #6: Indiana Jones and the Fate of Atlantis

006-Indiana-Jones-and-the-Fate-of-AtlantisHersteller: Lucasfilm Games
Project Leader: Hal Barwood
Composer: Clint Bajakian, Michael Z. Land, Peter McConnell & John T. Williams
System: PC
Jahr: 1992

Wir schreiben das Jahr 1992: Die Welt der Adventures ist noch intakt und niemand ahnt, welch große Krise ihr bevorsteht. Sierra Entertainment baut fleißig ihre Kultserien von Leisure Suit Larry bis Space Quest aus, große Publisher wie Virgin Interactive oder Electronic Arts investieren in brandneue Projekte und an der Spitze badet LucasArts einsam mit absoluten Höchstwertungen, die insbesondere hier in Deutschland für regelmäßige Jubelarien sorgen. In dem Zusammenhang erscheint mit Indiana Jones and the Last Crusade eine der bis heute besten, cleversten und zugleich akkuratesten „Film-zu-Spiel“-Adaptionen. Angespornt von dem Erfolg kommt LucasArts auf eine geniale Idee: Warum nicht einfach ein komplett neues Abenteuer rund um den berühmtesten Archäologen der Welt konzipieren, um den Spieledesigner volle Entfaltungsfreiheiten zu gewährleisten?

Unter der Leitung von Hal Barwood entsteht ein Mammut-Adventure, das in der Form heute kaum mehr möglich wäre. Der Titel Indiana Jones and the Fate of Atlantis verrät es bereits: Indy ist auf der Suche nach dem legendären, versunkenen Kontinent. Beginnend mit einer mysteriösen Statue, die versehentlich den Nazis in die Hände fällt, reist unser Held gemeinsam mit der kessen Sophia Hapgood um die halbe Welt, um den verbleibenden Spuren der verschollenen Kultur auf den Grund zu gehen. Dabei stoßen die beiden über kurz oder lang auf mehrere, hochentwickelte Apparaturen, die mit Orichalcum-Kugeln gefüttert werden. Die dabei freigesetzte Energie lässt Böses erahnen, was das Dritte Reich mit der Technologie im Sinn hat…

Der Plot ist interessant, der Verlauf spannend und die Dialoge größtenteils stilvoll geschrieben. Damals wurde Indiana Jones and the Fate of Atlantis insgeheim als der von vielen herbeigesehnte „vierte Film“bezeichnete – und in Anbetracht der mäßigen Resonanz, die Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels hervorgebracht hat, bleiben viele Fans bei der Bezeichnung.

Aber mal ernsthaft: Warum ziehe ich Indiana Jones and the Fate of Atlantis allen anderen Adventures vor? Weshalb steht es seit fast 24 Jahren sattelfest und unverrückbar auf Platz 1 meines liebsten Genres? Wieso nicht das lustige The Secret of Monkey Island oder die Slapstick-Orgie Day of the Tentacle? In der Tat ist der Humor hier allenfalls zweitrangig, das Abenteuer größtenteils ernst gehalten.

Doch genau das ist mit ein Punkt, der mich von der Qualität dieses Meilensteins überzeugt. Seid ehrlich: Wie viele grandiose Adventures kennt ihr, die aufgrund von Dramatik und seriöser Plotentwicklung brillieren? Die gibt es so gut wie gar nicht! Selbst Sierras ein Jahr später erschienenes und heute als All-Time-Classic vererhrtes Gabriel Knight steckt voller peinlicher Storyelemente sowie fragwürdig geskripteter Szenen.

Indiana Jones and the Fate of Altantis ist hingegen nahezu unantastbar. Es gibt allenfalls ein paar Dialogoptionen, die etwas seltsam rüber kommen (speziell wenn Sophia Hang zum Übernatürlichen mit Indys rationalem Denken kollidieren) – doch hab ich in den Situationen eben die Wahl und kann dem Protagonisten die Worte in den Mund legen, die meines Erachtens seiner würdig sind.

Als Nächstes muss ein Geständnis her: Obwohl ich zuvor bereits seit über fünf Jahren ein großer Fan von Point-&-Click-Adventures war und auch das eine oder andere Text-Adventure kannte, war ich eine ziemliche Niete im Rätselknacken. Oder anders ausgedrückt: Ich hab den Kram immer nur mit Lösungen gespielt. Ich kam gar nicht auf die Idee, selbst meinen Kopf anzustrengen. Doch im Falle von Indiana Jones and the Fate of Atlantis hatte ich keine Wahl: Es war das erste Adventure überhaupt, das ich mir direkt zum Release gekauft hatte. Mangels Internet hätte ich ein bis zwei Monate warten müssen, bis in meiner Stammzeitschrift eine Komplettlösung abgedruckt gewesen wäre.

So lange wollte ich nicht warten – weshalb ich das Spiel in fünf Tagen durchackerte. Das hört sich nicht nach viel an? Ist es schon, wenn ihr pro Tag locker mal fünf bis zehn Stunden veranschlagt. Zum Glück waren damals Sommerferien… und die Logik hinter den Rätseln die neue Referenz des Genres.

Doch der wahre Grund, warum Indiana Jones and the Fate of Altantis bei mir so hoch im Kurs steht, ist die Wegteilung: An einer ganz bestimmten Stelle müsst ihr euch nämlich entscheiden, ob ihr lieber Teamwork, clevere Rätsel oder mehr Action bevorzugt. Abhängig von dieser Wahl ändert sich der Mittelteil des Spieles auf eine radikale Art und Weise. Ihr besucht teilweise völlig andere Ort, potenzielle Gesprächspartner sind mal freundlich, mal bösartig und ständig kreuzen sich Räume, Begebenheiten sowie Ereignisse.

Ich bin kein großer Freund davon, Spiele aufgrund von wenigen Unterschieden mehrmals durchzuspielen. Doch Indiana Jones and the Fate of Atlantis ist DIE Ausnahme schlechthin. Und um ehrlich zu sein ist es in meinen Augen mit ein Grund, warum moderne Adventures so einen schweren Stand haben: LucasArts hatte damals ein in jedweder Hinsicht wegweisendes Spiel entwickelt. Die Geschichte ist toll, die Rätsel genial und selbst die Actionsequenzen funktionieren.

Also, liebe Adventure-Entwickler: Ihr wollt mich endgültig und auf ewig zufrieden stellen? Dann macht euch an die Arbeit und nehmt diesen zeitlosen Klassiker als Vorbild. Ich bin auch geduldig und warte gerne weitere 24 Jahre.

 

 

Indy4