Movie Soundtrack Mania I

Erinnert sich wer an meinen Blogeintrag von vor zwei Monaten, in dem ich eine detaillierte Beschreibung diverser Film-Soundtrackawards andeutete und diese vergleichen wollte? Nein? Egal: Hier ist der erste Teil, der den Musikgeschmack der Golden-Globe-jungs anhand der letztjährigen Verleihung erörtert.

Die Golden Globes sind ein interessantes Völkchen: Sie wandeln irgendwo zwischen sympathischer Individualität, Sucht nach Starruhm und potenzieller Bestechlichkeit. Gewählt von einem überschaubaren Haufen eigenwilliger Journalisten, werden sie einerseits von ihrer eigenen Zunft heimlich belächelt, wissen aber immerhin, wie eine fesche Show auszusehen hat. Und wenn dafür eine Angelina Jolie oder eine Julia Roberts für eine mittelmäßige Performance nominiert werden muss – dann ist das halt so.

Nahezu alle Kategorien, die bei den Golden Globes gewürdigt werden, bezeichnet selbst der Laie als “wichtig“. Lasse ich den TV-Kram mal außen vor, so gibt es Auszeichnungen für Bestes Drama, Beste Komödie/Musical, Beste Regie, Bestes Drehbuch und insgesamt sechs Schauspieler. Doch gerade weil solch zweitrangig wichtige Dinge wie Kamera, Schnitt oder Visuelle Effekte fehlen, stechen zwei gesonderte Auszeichnungen umso mehr hervor: Bester Song und Beste Musik.

Das ist schon irgendwie lustig: Ausgerechnet in der Kategorie, die aufgrund ihrer Vielschichtigkeit kaum für Konsens sorgt, möchte die Hollywood Foreign Press Assocation ihren eigenen Stempel draufdrücken. Mir soll es nur recht sein, denn es gibt kein anderes Thema, das mir mehr am Herzen liegt als die der Filmmusik.

Was sofort beim Durchlesen alter Statistiken auffällt: Das Vorurteil, die Globes würden “Starruhm auf Teufel komm raus“ erzwingen, gilt hier ebenso wie in allen anderen Kategorien. Ist ein John Williams, ein Ennio Morricone oder ein Hans Zimmer in greifbarer Nähe, dann wird er auch auf die Nomninierungsliste gesetzt. Auf der anderen Seite sind Komponisten, die landläufig wenig bekannt sind, eher selten Gäste. Fragt einmal Thomas Newman, der trotz zwölf Oscar-Nominierungen bislang nur dreimal zur Verleihung der Golden Globes eingeladen wurde – davon zweimal für den besten Song und nur einmal (!) für die beste Filmmusik, in einem Jahr wo zu allem Überfluss satte neun (!!) Soundtracks nominiert wurden. Zugegeben dürfte solch ein krasser Unterschied nicht nur im mangelnden Starruhm begründet liegen, sondern schlicht an den verschieden geeichten Geschmäckern. Sprich: Newman trifft eden Nerv der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und eben nicht den der HFPA.

2013 kamen folgende fünf Filmsoundtracks bei den Golden Globes zu Ehren:

  • All is Lost von Alexander Ebert
  • Die Bücherdiebin von John Williams
  • Gravity von Steven Price
  • Mandela – Der lange Weg zur Freiheit von Alex Heffes
  • 12 Years a Slave von Hans Zimmer

 

 

All is Lost steht nicht nur des Alphabets wegen ganz oben, sondern hat das Ding sogar gewonnen – was für viele unerwartet kam, aber eben nicht für alle. Denn in der Tat zehrt Alexander Eberts ambienter Score von einer sehr treuen Fangemeinde. Die Musik erinnert mich weniger an Filme, als an diese alten, typischen Renderadventures, die in den 1990er Jahren die PC-Systeme unsicher machten. Dort wandelte der Spieler meist durch eine verwaiste Spielwelt und löste mehr oder weniger logische Rätsel. In All is Lost wiederum sehen wir Robert Redford, der ohne fremde Hilfe auf seinem eigenen Schiff ums Überleben kämpft. Er schlittert von einer Extremsituation in die andere und verliert Stück für Stück die Hoffnung, wieder heil nach Hause zu gelangen. Ergo passt die Stilrichtung, denn sowohl im Film als auch bei den besagten Adventures ist der Protagonist alleine auf Abenteuerkurs.

Mangels Dialoge müssen Musik und Toneffekte viel mehr Verantwortung als eine “gewöhnliche“ Kinoproduktion tragen. Das ist zum einen eine gesonderte Herausforderung für den Komponisten und gleichzeitig eine besondere Ehre für ihn, denn schließlich wird der Fokus des Zuschauers verstärkt auf seine Arbeit gerichtet. Umso erstaunlicher, dass Ebert so viel Lob und so wenig Kritik für seine Arbeit erlangt hat. Denn durch die Dominanz sehr tiefer, dumpfer Flötentöne entsteht auf Dauer eine nicht von der Hand zu weisende Monotonie, die erst gegen Ende durch den Einsatz einer Akustikgitarre aufgelockert wird.

Anders ausgedrückt: Ebert schafft noch am Anfang, mich bei Laune zu halten, driftet jedoch ungefähr zur Halbzeit in die Belanglosigkeit ab. Einzelne Stücke ziehen sich enorm in die Länge, ohne sich dabei zu steigern oder gar zu entwickeln (z.B. The Invisible Man). Die Musik erfüllt ihren Zweck im Film, bleibt mir aber nicht in Erinnerung. Das Album ohne das Visuelle lässt mich völlig kalt, weshalb ich es nicht am Stück hören kann.

 

 

John Williams ist vermutlich das beste, was der Filmmusikgeschichte je widerfahren ist. Der Mann ist eine lebende Legende und hat Größen wie Der weiße Hai, Star Wars oder Schindler’s Liste geschaffen, während andere Komponisten bereits für einen Kracher dieser Art sterben würden. Williams erzeugt unheimlich viel Harmonie und Selbstverständlichkeit in seinen Werken, weshalb wir seine Musik sofort verinnerlichen. Er liebt das Zusammenspiel zwischen Klavier sowie Violine, er wechselt mit einem Fingerschnipsen von einer Emotion zur anderen und er weiß ganz genau, wie er sein Thema zum Hirneinbrennwerk zu arrangieren hat.

Die Bücherdiebin ist eine gute, aber keine herausragende Arbeit. In der Tat gelingt Williams erneut ein schönes Hauptthema, das sofort ins Blut geht. Obwohl die Geschichte aufgrund ihrer Weltkriegsthematik alles andere als unbeschwerlich ist, animiert uns die Musik sofort zum Seufzen und zum Träumen, Damit erleichtert uns John Williams den Umgang mit dem Schrecken von damals, ohne unsere Augen zu verschließen. Darüber hinaus erinnert jedes neue Werke an seine vorhergehenden, was aufgrund der oben erwähnten Klassiker von Haus aus ein wohliges Gefühl formt.

Nichtsdestotrotz halte ich diese Nominierung für “falsch“. John Williams mag immer funktionieren, jedoch sollte er nicht für Kopien seiner selbst honoriert werden. Und genau das stellt Die Bücherdiebin dar: Da ist nichts, was mich spitz aufhorchen lässt oder wo ich mir denke “Mensch, da hat der gute John doch noch mal eine Schippe drauf gelegt.“ Insofern wäre es mir lieber gewesen, sein Platz wäre an jüngere Komponisten gegangen, die sich gerade erst am definieren und uns am überraschen sind.

 

 

Ich möchte mich gleich für die folgenden Absätze entschuldigen, denn für den folgenden Fall fehlt mir jegliche Objektivität. Steven Price Gravity ist in meinen Augen nicht von dieser Welt. Bereits in meiner Filmkritik im höchsten Maße gelobt, kann ich hier nur erneut wiederholen, was für eine unglaubliche, wahnsinnige und atemberaubende Leistung Price vollbracht hat. Allein die perfekte Mixtur aus klassischem Orchester, unzähligen Synthesizerlementen und nahtloser Einbindung von Toneffekten ist der Grund, warum ich Gravity verehre.

Ohne die treibende, Adrenalin-fördernde und insbesondere am Ende bis in die Unendlichkeit aufpeitschende Musik wäre der Film nur halb so gut. Sie schenkt eine abartige Dramatik, die essentiell wichtig für das Gesamtkunstwerk ist. Auch die harten Cuts, in denen die Lautstärke bis zum Anschlag gedreht und von einer Sekunde auf die andere brutal abgebrochen wird, ist wie ein Weckruf, der aufgrund der atemberaubenden Szenen mein stehen gebliebenes Herz noch einmal kurz ins Stocken und danach wieder zum Schlagen bringt.

Ich weiß nicht, was die Zukunft für Steven Price bereit hält. Aber ich glaube kaum, dass er diese Arbeit jemals übertreffen wird. Dazu ist die Zusammenarbeit mit Alfonso Cuarons Bildgewalt einfach zu perfekt.

 

 

Die Golden-Globe-Nominierung, die für mich die meisten Fragezeichen bei der letzten Verleihung hinterließ, ist eindeutig die für die beste Filmmusik von Mandela – Der lange Weg zur Freiheit. Um gleich Missverständnissen aus dem Weg zu gehen: Ordinary Love, der Song von U2, der den Globe gewann und auch bei den Oscars mit im Rennen lag, ist ohne jeden Zweifel erhaben. Er ist schmissig, er ist aufwühlend und er rundet mit der rechten Euphorie die zuvor gezeigte Biographie ab. Aber darüber hinaus ist die Musik knapp überdurchschnittlich und sticht kaum hervor. Ich mutmaße deshalb frech, dass die Nominierung ohne den Song nicht zustande gekommen wäre.

Zumindest handwerklich hat Heffes eine gute Arbeit abgeliefert. Abseits der Bilder erkenne ich in den lauten, dramatischen Teilen einen Hauch von Hans Zimmer und hinter dem Stück mit dem schlichten Namen Mandela & Winnie eine Prise John Barry. Aber wie so viele orchestrale Scores der heutigen Zeit will sich keine Note in mein Gedächtnis einbrennen, selbst wenn Heffes ihn mit eindringlichen E-Gitarren-Klängen verziert und allgemein auf Abwechslung setzt. Es fehlt einfach eine Handschrift, ein echtes Markenzeichen. Jedenfalls waren sämtliche Passagen, die mich instinktiv ansprachen, kleine Teaser, die die Brillanz von Ordinary Love andeuteten.

 

 

Zu guter Letzt bleibt der Hans, der Zimmer, der zu den besonderen Lieblingen der Golden Globe Verleihung gehört und dafür erstaunlich oft bei den Academy Awards “übergangen“ wurde – was angeblich mit an seiner „Mir doch egal“-Haltung lege. Er bewirbt selten seine Arbeiten und reicht im schlimmsten Fall gar nicht erst die entsprechenden Notenblätter ein, was für eine potenzielle Nomnierung jedoch unabdingbar ist. Auch seine Musik zu 12 Years a Slave verfehlte den Sprung bei den Oscars, während sie sonst nahezu überall berücksichtigt wurde. Und ganz ehrlich? Ich kann beide Seiten allzu gut verstehen.

Bereits ein Blick auf des offizielle Soundtrack-Album sollte stutzig machen, so sind dort gerade mal zwei Score-Elemente vorhanden: das Hauptthema des Charakters Solomon Northup und ein halbminütiges Musikstück namens Washington. Ersteres ist Zimmer pur: Mit lang gezogenen Violintönen fasst er auf einen Streich die Unschuld des tragischen “Helden“ und die Ungerechtigkeit dessen, was ihm im Laufe des Filmes widerfährt, zusammen wie kein anderer. Allerdings müssen selbst Zimmers größte Fans zähneknirschend zugeben, dass der legendäre Abschluss in Inception mit dem Namen Time verteufelt ähnlich klingt.

Washington ist beschwingter und damit das glatte Gegenteil, aber aufgrund seiner Kürze nicht mehr als ein Einleitungsjingle. Der Rest des Soundtracks besteht aus zeitgenössischen Violinsolos oder Songs, die allesamt aus bereits existierendem Material bestehen und teilweise gar nicht im Film vorkommen.

Die Frage ist: Was ist mit dem Rest des eigentlichen Scores? Oder war das etwa alles, was Hans Zimmer beisteuerte? Nein, ganz so schlimm ist es nicht: Für den Awardprozeß fertigte Fox Searchlight eine “For-Your-Consideration“-CD an, die in entsprechend limitierter Stückzahl existiert und auf der sich mutmaßlich der gesamte Score befindet. Bereits die Gesamtspieldauer stoppt bei mageren 39 Minuten und die einzelnen Titel umfassen eher Stückchen anstatt Stücke. Oft handelt es sich um weitere Variationen von Solomon Northup, die entweder nahezu identisch im Vergleich zum Original-Cue oder arg versimplifiziert klingen.

Am ungewöhnlichsten ist noch Boat Trip to New Orleans, das euch sowohl im Film als auch auf dem FYC-Album regelrecht wachrüttelt. Allein das Blasinstrument, das alle paar Sekunden einen markerschütternd tiefen Ton von sich gibt, vermittelt eher die Atmosphäre eines Horrorfilms anstatt eines Sklavendramas. Die stoisch hämmernden Trommel, das metallene Klirren, das an Live-Aufnahmen aus einem Bergwerk erinnert, und das sanft im Hintergrund durchsickernde Hauptthema bilden ein beklemmendes Klangspektrum, welches wirr und faszinierend zugleich ist. Im krassen Gegensatz dazu besteht die so genannte Escape Sequenz aus sage und schreibe einer (!) Note – als ob der gute Hans fast anderthalb Minuten lang zwei Kokosnüsse dreimal pro Sekunden gegeneinander haut.

 

Unterm Strich wird das Nominierungsfeld leider dem zynischen Ruf der Golden Globes gerecht, nämlich das ein großer Name mitunter wichtiger ist als die eigentliche Qualität der Arbeit. John Williams kann inzwischen komponieren, was er will: Er wird in jedem Fall berücksichtigt (und das nicht nur bei den Globes, nur so nebenbei bemerkt). Hans Zimmer ist und bleibt das Liebling der Hollywood Foreign Press Association und Alex Heffes profitierte sicherlich vom Ordinary-Love-Hype. Einzig Ebert und Price wirken wie eine ehrliche Aussage über die besten besten Scores des Jahres 2013.

Mein persönliches Ranking:

  1. Gravity
  2. All is Lost
  3. 12 Years a Slave
  4. The Book Thief
  5. Mandela: Long Walk to Freedom