Her

In meinen Augen sind mit die besten Filme diejenigen, die auf den ersten Blick völlig banal klingen und einen beim Ansehen trotzdem faszinieren. Filme, deren grundlegende Prämisse abgedroschen sein mag und die aufgrund einer cleveren Regie oder eines durchdachten Drehbuches mich von Anfang bis Ende interessieren. Zu den Paradebeispielen gehören Robert Bentons Kramer gegen Kramer oder Robert Redfords Eine ganz normale Familie, beides große Oscargewinner, denen leider ein schlechter Ruf anhaftet. Spike Jonzes Her wird vermutlich nicht das gleiche Schicksal erleiden – zum einen, weil der Film “nur“ den Academy Award für das beste Drehbuch ergattert hat und zum anderen weil das Thema gezielt die derzeit herrschende IMDB-Generation ansprechen dürfte.

Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) ist ein schüchterner, introvertierter Mann, der wie so viele in der heutigen Zeit mit seiner Einsamkeit kämpft. Nachdem sich seine Frau Catherine von ihm getrennt hat und die Scheidung bevorsteht, wünscht er sich einerseits eine neue Beziehung, weiß aber andererseits nicht, wie und vor allem wo er eine solche finden könnte. Das er eigentlich mehr Gefühle besitzt, als er nach außen hin zeigt, beweist allein sein Job: Dort schreibt er auf Auftrag “persönliche“ wie “einfühlsame“ Briefe für Personen, die selbst dazu nicht imstande sind.

Aus einer Laune heraus besorgt er sich eine K.I., die sich angeblich seinen Bedürfnissen anpasse und sich im Laufe der Zeit von alleine weiter entwickele. Verläuft die Installation noch etwas befremdlich, so wird Theodore kurz darauf von einer liebreizenden Frauenstimme begrüßt. Ihre lockere wie eingängige Art sorgt sofort für Erstaunen und Faszination – man spürt richtig, wie es in Theodore spontan “Klick“ macht.

Die K.I. (gesprochen von Scarlett Johansson) nennt sich Samantha und evaluiert rasch zu einem unverrückbaren Teil von Theodores Leben. Die beiden entwickeln eine immer enger werdende Freundschaft, die in aufrichtigen Liebesgefühlen gipfelt – angeblich von beider Seiten. Doch man muss kein Wahrsager sein um zu erahnen, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. In der Tat hatte ich genau deswegen Vorbehalte bezüglich des Filmes, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie Spike Jonze solch einen Plot glaubwürdig zu Ende bringen könnte, ohne das es für den Protagonisten zu einer Katastrophe führe. Aber weil Jonze genau das geschafft hat, hat er den Oscar zurecht gewonnen.

Natürlich kann ich den “Kniff“ nicht verraten, denn dafür müsste ich den gesamten Film spoilern. Ich kann nur andeuten, dass der Fortgang der Geschichte oftmals überrascht und trotzdem wie selbstverständlich wirkt. Das einzige, was mich im Nachhinein irritiert: Warum wurde Her von solch Awardshows wie den Golden Globes in die Comedy-Schublade gesteckt? Wirklich zum Lachen war mir nie zu Mute, dafür philosophiert er über eine ernstzunehmende wie traurige Zukunftspersektive, die unserer immer arbeitswütigeren Gesellschaft droht.

Diese Mission hat Jonze jedenfalls erfüllt: Das ich mir nach Her keine K.I. als Partner wünsche. Der clever in Szene gesetzte “Haken“ an solch einer Beziehung gehört zu den großen Stärken des Filmes und sollte spätestens dann alle Befürworter, die bis dahin ernsthaft mit Theodore hätten tauschen wollen, vor den Kopf stoßen. Gleichzeitig verliert sich die Geschichte in keiner irreparablen Katastrophe, sondern endet mit einem erstaunlich offenen Ende, das einen ganzen Sack voller glaubwürdiger Perspektiven auf den Tisch legt.

Wer jedenfalls denkt, Spike Jonze würde hier eine Zukunftsvision zwischen Mensch und Maschine zelebrieren wollen, der hat nicht richtig hin geschaut. Natürlich geht Jonze erstaunlich offen mit dem Thema um und zeigt die meiste Zeit über einen Theodore, der wahnsinnig glücklich mit dieser Art der Beziehung ist und dafür eigentlich “nur“ von seiner getrennt lebenden Frau verurteilt wird. Zudem ist die Entwicklung seitens Samantha erschreckend glaubwürdig – ich nehme es der K.I. jedenfalls ab, dass sie in der Tat so etwas wie Gefühle verspürt. Aber ich denke nicht, dass Jonze sich so eine Zukunft ernsthaft wünscht. Er zeigt einfach deren Möglichkeit und entwickelt ohne moralische Zeigefinger seine Sicht der Dinge, was daraus entstehen würde.

Ein weiterer Punkt, der mir an Her gefällt, ist die Einzigartigkeit, die der Film ausstrahlt. Zunächst ist es ein echtes Kunststück, den Plot gerade mal zehn Jahre in die Zukunft zu platzieren und mir exakt dieses Gefühl zu vermitteln – also das hier eine Zeitepoche gezeigt wird, die noch nicht da, aber in greifbarer Nähe ist. Absolut fantastisch ist in dem Zusammenhang die Kulisse, die von leicht modernisierten Ikea-Möbeln bis hin zu neckischen, wie technisch glaubhaft dargestellten Elektronikgadgets lebt. Nichts gegen Catherine Martins ausschweifende Bauten für The Great Gatsby, doch ich hätte den Oscar für das beste Produktionsdesign lieber K.K. Barrett und Gene Serdena für diese subtile Zukunftsvision gegeben.

Der Soundtrack, komponiert von der Indie-Rockband Arcade Fire und dem kanadischen Künstler Owen Pallett, ist ähnlich ungewöhnlich und funktioniert genau aus diesem Grunde. Die Mischung aus ruhigen Klavierstücken und hypnotischen Synthiewellen lässt sich noch am ehesten als eine ambiente Variante von The Social Network beschreiben, weshalb die Fans klassischer, orchestraler Filmmusik aufjaulen dürften. Ja, das hier ist alles andere als pompös und klangtechnisch mit Sicherheit schlicht. Aber der Sound fängt die Atmosphäre perfekt ein und trifft buchstäblich den richtigen Ton.

Joaquin Phoenix und Scarlett Johansson gehen bei all diesen Stärken etwas unter, was aber mehr an der Natur ihrer Charaktere liegt. Ersterer ist schüchtern sowie schwer verunsichert und letztere, nun ja, eben “nur“ die Stimme einer K.I. Diese Abstraktion ist nebenbei erwähnt auch dringend notwendig, denn sonst würden wir Samantha als zu real empfinden oder im schlimmsten Falle gar nicht begreifen, dass sie eine künstlich erschaffene Persönlichkeit ist. Entsprechend wichtig ist das verbale Zusammenspiel, weshalb ich dringend dazu rate, den Film gleich auf Englisch anzusehen. Auf Deutsch geht zwangsläufig viel von der Magie verloren, die sich zwischen Theodore und Samantha entwickelt.

Die einzige ernsthafte Schwachstelle, die der Film besitzt, bezieht sich auf die anfangs von mir aufgeführte, grundlegende Problematik: Wer sich nicht auf den beschriebenen Stil und die Atmosphäre im allgemeinen einlässt, der wird den letztlich simpel gestrickten Plot monieren und sich darüber beschweren, dass er auf eine halbe DIN A4 Seite passt. Aber gleichzeitig verpasst er oder sie die vielen Feinheiten, die im Detail versteckt liegen – beispielsweise das Theodore selbst aufgrund seines Jobs bereits ein künstliches Sprachrohr für Gefühle und Emotionen geworden ist und damit unbewusst seine eigenen immer tiefer unter den Teppich kehrt. Entsprechend ist es kein Wunder, warum gerade er sich so leicht von Samantha faszinieren lässt.

Und natürlich wird es viele geben, die Her allein aufgrund der Thematik verteufeln und darin eine Rechtfertigung für eine “Beziehung“ im freundschaftlichen oder gar romantischen Sinne zwischen Menschen und Computern sehen. Aber nochmal: Das ist nicht das Anliegen von Spike Jonze. Er will nur zeigen, was vielleicht mal möglich sein könnte. Ob wir uns dann darauf einlassen, sei uns überlassen.

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Bestes Drehbuch (original), Beste Musik, Bester Song, Bestes Produktionsdesign.