The Awardian: Best Game Soundtracks 2015

Es wird Zeit: Die gesamte Welt der Zockerei hat bereits ihre Awards für die besten Spiele des Jahres 2015 vergeben, nur meiner einer lässt sich mal wieder Zeit – natürlich nur, damit am Ende keine Fehlentscheidung auf The Awardian steht.

Die Wahl der besten Soundtracks des Jahres fiel mir im Vergleich zu 2015 einerseits leichter und andererseits schwerer. Während die oberen vier ziemlich fest in Stein gemeißelt und die Reihenfolge vermutlich auch in kommenden Revisionen bestehen bleiben dürfte, wurde es auf den hinteren Rängen richtig eng.

Zudem möchte ich gleich betonen, dass es mir in der Seele weh tut einen „Sieger“ und einen „Verlierer“ zu küren: Die beiden besten Soundtrack 2015 sind jeweils für sich betrachtet abartig gut und hätten ohne den Konkurrenten in nahezu jedem anderen Jahr den ersten Platz erreicht. Stellt euch einfach vor, die beiden Filmklassiker Lawrence von Arabien und Schindlers Liste wären in der gleichen Saison erschienen – dann versteht ihr vielleicht mein Dilemma.

Honorable Mentions

“Bestes Album”

Chrono Cinematica

by Sam Dillard

Ich beginne gleich mit einem Kracher und einer Überraschung zugleich, denn das Jahr 2015 war vollgestopft mit hochkarätigen Videospielalben. Chris Hülsbeck glänzte mit seiner ersten Piano Collection, Determination dürfte nur das erste von vielen liebevollen Undertale-Arrangements sein, Razion ist die längst überfällige MP3-Veröffentlichung eines Neo-Geo-Only Shooters, The Specturm Works zelebriert die besten Tage des ZX Specturn, Tim Wright verneigt sich mit Shadow of the Beast 2015 Remix Album gegenüber David Whittaker, Instant Remedy hat ENDLICH seine Hommage an die Amiga-Tage in Form von Insert Disk 2 veröffentlicht und Dj CUTMAN brilliert mit dem höchst umfangreichen Volume 3.

Trotz all der Klasse blieben am Ende ganz klar zwei potenzielle Kandidaten für den Titel „Bestes Album“ übrig: Final Symphony und Chrono Cinemetica. Ersteres ist produktionstechnisch unschlagbar und dehnt die Grenzen der professionellen Orchesterarrangements bis zum Äußersten. Es gibt zwei Gründe, warum ich mich trotzdem für den Underdog entschieden habe: Zum einen bezeichne ich bereits viele Alben aus dem Hause Thomas Böcker als „Best of the Year“ und zum anderen möchte ich mich hiermit vor der One-Man-Show verneigen, die Sam Dillard mit Chrono Cinematica vollbracht hat.

Dillard hat ganz alleine ein vollwertiges Arrangement über nahezu alle Themen von Chrono Trigger gemeistert, sie in ein Filmmusik-ähnliches Konzept gepresst und in einer beängstigenden Perfektion zu einem Orchester nahen Erlebnis vollbracht, obwohl ihm genau ein solches nicht zur Verfügung stand.

Ich habe Chrono Cinematica mehrfach rauf und runter gehört und kann nur versichern, dass auch nach wiederholtem Anhören kaum etwas von der anfänglichen Faszination verloren geht. Dillards vorhergehendes Metroid Cinematica, das bereits von seinen Fans gefeiert wurde, wirkt jedenfalls im direkten Vergleich wie eine Fingerübung. Entsprechen kann ich es kaum erwarten, welcher Thematik sich der Amerikaner als nächstes bedient.

 

 

“Beste Komposition in einem durchschnittlichen Soundtrack”

46-:ri9 (Xenoblade Chronicles X)

by Hiroyuki Sawano

Oh ja, richtig gelesen: Ich mag den Soundtrack von Xenoblade Chronicles X nicht – keinen Meter. Da mag Hiroyuki Sawano noch so ein „bekannter“ Name unter Anime-Jüngern sein: Sein Score wandelt zwischen hoffnungsloser Austauschbarkeit und bizarren, um nicht zu sagen entsetzlichen Ideen. Die Standard-Kampfmusik mit einem Rapper zu untermalen geht-gar-nicht.

Vermutlich hätte ich mich nie ernsthaft mit dem Soundtrack auseinander gesetzt, wenn ich das Spiel nicht aus beruflichen Gründen hätte spielen müssen. Und demzufolge wäre mir dann das Stück unter dem kryptischen Namen „46-ri9“ nie begegnet, das ihr im Gebiet Sylvalum zu hören bekommt. Es ist das einzige, wo ich während des Spielens ernsthaft aufhorchte. Dort gelingt Sawano eine vortreffliche Melodie, die sowohl der verträumten Faszination der Welt als auch eurer Abenteuerlust gerecht wird.

 

 

“Waiting in the Wings”

King’s Quest

by David Stanton and Ben Stanton

Mein letztjähriger „Waiting in the Wings“-Beitrag strandete leider in musikalischer Hinsicht in der Belanglosigkeit – doch trotzdem kann ich nicht anders und muss auch dieses Jahr einen vielversprechenden Kandidaten vor seiner Fertigstellung benennen -wobei in diesem speziellen Falle die Vorschusslorbeeren auf jeden kleinsten Aspekt des Spieles ausweiten könnte.

Das Reboot von King’s Quest ist in nahezu jeder Hinsicht eine große wie willkommene Überraschung. The Odd Gentlemen hat es speziell in der ersten von bislang zwei veröffentlichten Episoden prächtig verstanden, wie ein stilechtes Märchenabenteuer mit einer guten Portion Humor auszusehen hat. Der Soundtrack der Brüder David und Ben Stanton schlägt in die gleiche Kerbe und fällt interessanterweise durch seine Unauffälligkeit auf.

Die orchestrale Musik agiert stets als unterstützender Begleiter, ohne je eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Damit erreichen die Gebrüder Stanton erstaunlich viel Atmosphäre und gewinnen unser Unterbewusstsein. Das mag sich vielleicht nicht direkt an irgendwelche Melodien erinnern – aber sehr wohl an das Gefühl, etwas Magisches gehört zu haben.

 

 

“Bester lizenzierter Soundtrack”

Life is Strange

Zwei Spiele stritten sich um diesen Sonderpreis, doch am Ende siegt Herz über Gewalt: Während Hotline Miami 2 vollgestopft mit Songs ist, die zwar grandios, aber austauschbar klingen, fühlen sich die für Life is Strange lizenzierten Werke bedachter und den Spielsituationen zugehöriger an.

Das beweist das offizielle Soundtrackalbum, welches der jüngst erschienenen Special Edition beiliegt. Bereits der erste Song „To All of You“ von Syd Matters weckt sofort Erinnerungen an den Interactive Movie und ist insgeheim ein Teil dessen geworden.

 

 

“#11”

Halo 5

by Kazumi Jinnouchi

Es war wirklich eng. Wirklich, wirklich eng – allein um diesen ehrenvollen, inoffiziellen elften Platz stritten sich solch Größen wie Axiom Verge, der nicht-lizenzierte Anteil von Life is Strange, Nuclear Throne, The Beginner’s Guide oder Splatoon. Letztlich entschied ich mich für einen Klassiker, der dank Kazumi Jinnouchi so satt wie in den Urzeiten der Serie klingt.

Halo 5 stellt den besten orchestralen Actionscore des Jahres im klassischen Sinne dar. Er ist pompös, er ist glorreich und er ist gleichzeitig dezent. Im Gegensatz zum Vorgänger gibt es zwar weniger einprägsame Kompositionen, doch dafür wird die Musik insgesamt viel besser und würdevoller präsentiert. Sie begleitet das Spiel vortrefflich und sorgt für einen spürbaren Motivationskick.

 

 

Top Ten

#10

Crypt of the Necrodancer

by Danny Baranowsky

Pulsierend, laut, hämmernd: Danny Baranowsky liefert einen astreinen Dance-Techno-Score für den RPG-Musikspiel-Mix aus dem Hause Brace Yourself Games. Ihr müsst euch korrekt im Takt durch prozedural generierte Dungeons bewegen und dabei gegen die zahlreichen Monster kämpfen, wenn ihr als Sieger hervorgehen wollt. Entsprechend wichtig ist die musikalische Untermalung, die eure Gliedmaßen bereits im Tutorial zum unweigerlichen Zucken bringt.

Für eine höhere Platzierung hätte ich mir mehr Abwechslung gewünscht, denn auch wenn Baranowsky jedem Levelabschnitt eine eigene Melodie spendiert, so klingen sie im Gesamten betrachtet etwas zu ähnlich.

 

 

#09

There Came An Echo

by Jimmy Hinson & Ronald Jenkees

Ich hatte bereits letztes Jahr das Gefühl, dass ich noch einiges von Jimmy Hinson zu hören bekomme. Mit seinem Album The Glory Days bewies der Mann, welch geschicktes Händchen er für atmosphärische Chiptune-Musik besitzt und er mit seinem Stil perfekt im Trend der heutigen Indieszene steht.

There Came An Echo ist leider kein besonders gutes Spiel, weil das Strategie-Adventure-Konzept durch die technisch durchwachsene Spracheingabe-Steuerung für unnötig Ärger sorgt. Auch geht Hinsons Musik an manchen Stellen etwas unter, aber allein das schlichte Hauptthema ist alle Ehre wert. Ich könnte jedenfalls ewig diesem Synthesizer zuhören, der stoisch alle paar Sekunden die selben Töne wiederholt. Allein sein Klang ist meister- und geisterhaft zugleich.

Der Kern des Scores ist weniger ambient und mehr melodisch. Das Hauptthema kommt in verschiedenen Variationen zum Zuge, darunter einer orchestralen Variante und in Form eines erstklassigen Synthi-Pop-Songs. Dazu gesellen sich eine Handvoll Stücke von Ronald Jenkees, der wunderbar mit Hinsons Stil harmoniert. Sein Beitrag wurde zwar bereits ein paar Monate vor dem Spiel in Form eines Bandcamp-Albums namens Alpha Numeric veröffentlicht, jedoch laut Jenkees explizit für das Spiel geschrieben, weshalb es sich nicht um lizenziertes Material handelt.

 

 

#08

Giana Sisters: Dream Runners

by Chris Hülsbeck, Fabian Del Priore and Machinae Supremacy

Ich höre sie bereit schreien, die Lästermäuler: „Giana Sisters: Dream Runners? Im Ernst?!? Du bist peinlich und ein Fanboy.“

Mir ist vollkommen bewusst, wie schlecht das Spiel ist. Nach der tollen Jump’n’Run-Neuauflage von Giana Sisters enttäuscht das Spinoff Dream Runners mit halbgar designten Speedrun-Parcours und einem dürftigen Spielprinzip. Die Multiplayer-Server sind derart tot, dass eine Runde zu zweit, zu dritt oder zu viert nur am heimischen Bildschirm möglich ist. Was also hat der Soundtrack hier verloren?

Einfache Antwort: Er ist verflixt noch mal verdammt gut gemacht. Zwar geht der Reiz der verschiedenen Cute- und Punkt-Tonarten flöten, weil der Wechsel nicht so gut wie im Vorgänger funktioniert. Aber dafür sind die fünf neuen Musikstücke grandios komponiert. Sie weichen stilistisch vom eher harmlosen Jump’n’Run-Tonfall ab und klingen härter, packender und vor allem motivierender.

Letzteres mag sich wie blanker Hohn anhören, weil das Spiel eben nicht gut ist. Aber ganz ohne Witz: Ich bin ganz alleine Runde um Runde durch die Parcours geflitzt, nur damit ich die Musik im Dauerloop hören konnte. Allein die Musik für den „Stranglevine Ruins“-Parcours ist in der Cute-Version ein unglaublich gut geschriebener Ohrwurm, der sich einen Platz in der Top Five der besten Kompositionen verdient – und das in einem Jahr, wo es dort verdammt eng zuging.

Nebenbei erwähnt bekommt Giana Sisters: Dream Runners den gleichen Preis verpasst wie Chris Hülsbecks letztjähriges Touchfish: für den besten Soundtrack, den keiner kennt. Immerhin wurde die Musik zum Aquariumsimulator nachträglich via Bandcamp veröffentlicht. Hoffentlich dauert es nicht mehr lange, bis auch Dream Runners zumindest diese Ehre erlangt, die alle beteiligten Komponisten redlich verdient haben.

 

 

#07

7th Dragon III: Code VFD

by Yuzo Koshiro

Huch, was ist das denn hier für ein Spiel? 7th Dragon III: Code CFD ist der vierte Eintrag einer Rollenspielsaga, die bislang nur in Japan erschienen ist. Jeder Teil wurde von einem Altmeister unter den Videospielkomponisten vertont, nämlich Yuzo Koshiro höchstpersönlich. Und im Gegensatz zu Etrian Odyssey beschränkt sich der Japaner nicht auf klassische RPG-Kost sondern addiert dank Sci-Fi-Elemente einen gehörigen Schuss Electronic á la Wangan Midnight Maximum Tune.

Normalerweise hätte ich den Soundtrack gar nicht berücksichtigen können, weil mir mangels japanischem Nintendo 3DS das zugehörige Spiel fehlt. Doch zum Glück gibt es YouTube und Let’s Plays, die mir nach einer Dauerberieslungen von mehreren Stunden versichern konnten: Yep, das hört sich auf dem offiziellen Album genau so gut an wie während des Spielverlaufes.

Koshiro springt fleißig von einer Stilrichtung zur nächsten und bedient sich stellenweise sogar der klassischen Orchesterkunst. Zwar klingt das eine oder Thema etwas schräg und gewöhnungsbedürftig, doch potenzielle Klassiker wie „Sink in Kazan“, „UE77 TOKYO“ oder „Battlefield“ sorgen für den nötigen Ausgleich.

 

 

#06

The Witcher 3 – Wild Hunt

by Marcin Przybylowicz & Mikolai Stroinski

Willkommen in der diesjährigen „Too big to be ignored“-Abteilung: The Witcher 3 – Wild Hunt heimst zurecht unzählige Awards ein und gehört auch für seinen grandiosen Soundtrack gelobt. Zwar betrachte ich den ersten Teil der Serie rein aus kompositorischer Hinsicht für eine Spur besser und auffälliger, aber die Qualitätsunterschiede halten sich in Grenzen. Dafür drehen die Polen diesmal in Punkto Produktionsarbeit und Orchestration voll auf.

Przybylowicz und Stroinskis Arbeit ist atmosphärisch, klassisch, gut. Der Umfang geht ebenso in Ordnung, weil keines der Themen die Nerven strapaziert. Die beiden Komponisten können sowohl dramatische Kampfsequenzen untermalen als auch für die richtige Stimmung in Skellige sorgen. Dort glänzen sie mit einem ruhigen wie besonnen Stück, dem ihr stundenlang unter dem gleißenden Sonnenlicht zuhören könnt.

 

 

#05

Circa Infinity

by JACK+JIM

Und hier ist gleich der nächste Underdog, den sicherlich kaum einer von euch kennt. Circa Infinity ist ein vertracktes Geschicklichkeitsspiel, das durch seinen simplen Grafikstil und einem cleveren Leveldesign auffällt. Darüber hinaus lebt es von einem faszinierenden Soundtrack zweier Brüder, die nur unter ihren Vornamen Jack und Jim bekannt sind.

Insgesamt bereist ihr fünf Welten, die jeweils von einem eigenen Musikstück charakterisiert werden. Die Kompositionen gehen sofort ins Blut über, leben von einem Daft-Punk-typischen Synthi-Charme und werden fleißig von Akustik- sowie E-Gitarren begleitet. Interessant ist der Tempowechsel: Während die erste Welt auffallend flott beginnt, hört sich die Musik der zweiten Welt viel gechillter und fast schon nach Spaziergang an.

Das Highlight ist jedoch das Bossthema, das den psychedelischen Wahn innerhalb von anderthalb Minuten perfekt symbolisiert. Selten hat sich atonale Electronicmusik derart stimmig angefühlt.

 

 

#04

Assassin’s Creed Syndicate

by Austin Wintory

Austin Wintory ist seit dem Überraschungshit Journey einer der beliebtesten Videospielkomponisten, gleichwohl er seine Leistung in keinem seiner nachfolgenden Projekte wiederholen konnte. Assassin’s Creed gilt dank Jesper Kyd als ein Garant für grandiose Soundtracks, allerdings haben seine Erben Balfe, Tyler und Tilton hörbar Probleme gehabt, dem Meister gerecht zu werden.

Spontan hätten also meine Synapsen bei der Ankündigung von Austin Wintory als Musikkünstler für Assassin’s Creed Syndicate Panik schreien müssen, doch das glatte Gegenteil war der Fall. Instinktiv dachte ich mir trotz aller Vorbehalte: „Das ist eine gute Wahl.“ – und mein Gefühl sollte mich nicht täuschen.

Wintorys Assassin’s Creed ist vor allem eines: anders. Während die Vorgänger mit viel Bombast und krachendem Orchester eure Hatz als virtueller Assassine begleiten, setzt der Mann aus Denver/Coloroda auf Grazie, Anmut und Klassik. Es dominieren das Klavier und vor allem Solistin Sany Cameron, die euch vortrefflich durch das viktorianische London begleitet. Die Musik schreitet im Vergleich zu den Vorgängern ein, zwei Schritte in den Hintergrund und ist genau deshalb so effektiv.

Austin Wintorys Faible für atonale Musik passt hervorragend in das Ambiente und steht im Kontrast zum Abschlusssong „Underground“, einer schlichten, aber sehr zugänglichen Melodie, dessen melancholischer Gesang euch über das Spiel hinaus beschäftigt. Dafür gibt es von mir die Auszeichnung für den Besten Song des Jahres 2015.

 

 

#03

Everybody’s Gone to the Rapture

by Jessica Curry

Jeder, der Dear Esther gespielt hat (egal ob im Original von 2008 oder das vier Jahre später veröffentlichte Remake), der wusste: Wir werden noch einiges von Jessica Curry zu hören bekommen. Ihr Score war beileibe nicht perfekt, aber phasenweise sehr emotional und ergreifend. Diese Stärken konnte sie kaum in ihrem Nachfolgeprojekt zum Horror-Spin-off Amnesia – A Machine for Pigs ausspielen, doch mit Everybody’s Gone to the Rapture war die Wartezeit auf ihr unvermeidliches Meisterwerk vorbei.

Wer schon immer nach Dear Esther wissen wollte, was Curry mit einem satten Budget zu leisten vermag, der findet hier die Antwort. Ähnlich wie Wintorys Assassin’s Creed Syndicate strotzt die Musik nur so vor emotionalen Momenten und sensibel gespielten Suites. Neben dem heftigen Einsatz von Streichern kommt alle Nase lang Sopranisten Elin Manahan Thomas und der London Voices Chor zum Einsatz, die euch regelrecht zum Schmelzen bringt.

Die Thematik des Spieles ist keine leichtfertigte und behandelt das Unglück einer ganzen Stadt, deren Bewohner auf mysteriöse Weise verstorben sind. Entsprechend wirkt der Score wie eine ewig andauernde Trauermusik, die euch die Auseinandersetzung mit dem Tod erleichtert.

 

 

#02

Ori and the Blind Forest

by Gareth Coker

Ori and the Blind Forest braucht eine Minute.

In nur einer Minute seid ihr nicht mehr der Spieler, der vor dem Monitor oder dem Fernseher hockt. Ihr seid irgendwo anders, in einer besseren, schöneren Welt. Gareth Coker ist maßgeblich für diese Transformation verantwortlich. Er stemmt den bislang zweitbesten Videospielsoundtrack aller Zeiten, der von einem vollwertigen Orchester vorgetragen wird. Nur Kow Otanis Shadow of the Colossus ist den Hauch einer Spur besser.

Vielen orchestralen Soundtracks wird vorgeworfen, sie klingen austauschbar. Ihnen fehle das Markante, variantenreiche Themen und das Herz der Kompositionen, das viel zu oft unter dem Orchesterensemble begraben sei. Cokers Ori and the Blind Forest ist eine der wenigen Ausnahmen – dafür sorgen Stücke wie „Lost in the Storm“, „The Blinded Forest“ oder „The Sacrifice“, die euch ein Leben lang verfolgen werden.

Des Weiteren ist es unglaublich schwer, einen orchestralen Soundtrack so gut an ein dynamisches Spielgeschehen anzupassen, wie Coker es im Falle von Ori and the Blind Forest geschafft hat. Mit „Restoring the Light, Facing the Dark“ hat der Mann eine neue Referenz geschaffen, die das Drama im Ginsobaum perfekt getimt begleitet – egal ob ihr die Szene in einem Rutsch schafft oder Versuch um Versuch scheitert.

 

 

In einem normalen Jahr hätte Ori and the Blind Forest den Titel des Besten Soundtrack des Jahres 2015 und „Restoring the Light, Facing the Dark“ den der besten Komposition sicher gehabt. Aber es war kein normales Jahr. Ich bitte Gareth Coker zutiefst um Vergebung, doch auch wenn er mit seinem Soundtrack einen Platz in der ewigen Top Ten erreicht hat: Ein anderer war besser.

Noch besser…

 

#01

Undertale

by Toby Fox

Im Gegensatz zu Ori and the Blind Forest beginnt Undertale völlig anders. Es kling piepsig, schräg, befremdlich. Erst der Gang durch die Katakomben, den ihr in der ersten halben Stunde bestreitet, wird von einer kessen, niedlichen Melodie begleitet, die euch mit jedem weiteren Durchlauf mehr und mehr ans Herz wächst. Irgendwann werdet ihr angegriffen und der Tonfall ändert sich schlagartig. Der Takt beschleunigt immens und zu den Chiptune-typischen Klängen gesellt sich eine bedeutend echter klingende Instrumentation, die euch regelrecht überrumpelt – im positiven Sinne.

Instinktiv sehnt ihr euch danach, immer öfters und immer wieder angegriffen zu werden, eben weil die Kampfmusik so viel Laune macht. Selbst das Sterben macht euch nichts aus, weil sich das schlichte Game-Over-Thema sofort in euer Herz einbrennt – trotz oder vielleicht gerade wegen seiner piepsigen Art.

Es dauert nicht lange und ihr steht vor dem ersten Bosskampf. Die begleitende Musik „Heartache“ dreht richtig auf und verführt regelrecht zu einem Tanz – was insofern passt, weil die Herausforderung im Ausweichen der gegnerischen Angriffe liegt. Habt ihr es geschafft, startet wieder eine Ansammlung skurriler Minimusiken, die in dem völlig panne geschriebenen „Dogsong“ ihren Lachkrampfhöhepunkt findet.

Zwischendurch begegnet ihr alle paar Metern einem Skelett namens Papyrus, dessen Auftritte von einer Musik begleitet wird, die sich am besten mit den Worten „Nyeh Heh Heh!“ beschreiben lässt – weshalb Autor Fox das zugehörige Stück exakt so genannt hat.

Irgendwann müsst ihr gegen Papyrus kämpfen – zwangsläufig. Fox nimmt die gleiche Musik, nennt sie kess „Bonetrousle“ und schießt sie mit einem fetten Schlagzeug in ungeahnte Wertungshöhen. Was vorher einfach nur lustig klang, ist nun hämmernd, treibend und abartig motivierend. Zudem erweitert er die Melodie um einen zweiten Teil, der jeder russischen Folkloreband alle Ehre bereitet. Wer hier noch ruhig auf seinem Stuhl sitzt, der ist kein Mensch.

 

 

Ich könnte das jetzt so weiter und weiter beschreiben, wobei es stets auf den gleichen Trick hinausläuft: Fox treibt euch mit planlos komponierten Musikstückchen in die irre („Bird That Carries You Over a Disproportionately Small Gap“, „Spooktune“, „Alphys“), wiegt euch mit mal ruhigen, mal ambient gehaltenen Berieselungen in Sicherheit („Waterfall“, „It’s Raining Somewhere Else“, „The Choice“), weckt euch alle halbe Stunde mit einem flotten Zwischenakt („Thundersnail“, „It’s Showtime“, „Another Medium“) und haut euch mit jeder weiteren Endbossmusik aufs Neue von den Socken.

Bis zum Ende gesellen sich zu „Heartache“ und „Bonetrousle“ vier weitere, in meinen Ohren bereits jetzt unsterbliche Klassiker namens „Dummy!“, „Spear of Justice“, „Spider Dance“ und „Death by Glamour“. In jedem einzelnen Fall registriert ihr die unterschiedlichen Einflüsse, unter denen Fox sie komponiert hat – vornehmlich alte Nintendo-Klassiker wie Tetris, Donkey Kong Country oder Earthbound. Und durch die Bank weg überholt er sie mühelos in Sachen Komposition und Ausführung.

Und dann, wenn man denkt, dass es einfach nicht besser werden kann, kommt die Kombination „Bergentrückung“ und „ASGORE“, in dem der Mix aus Chiptune und virtueller Orchestration orgastische Züge annimmt. Hier komprimiert Fox all die bis dahin zelebrierte Entwicklung auf zweieinhalb Minute: Ein infantiler Anfang, der plötzliche Tempowechsel, die Implementation „echter“ Instrumente, die Überschlagung aller beteiligten Tonfolgen, der Höhepunkt in Form euphorischer Trompeten und dem Abklang einer Klavieradaption der Game-Over-Melodie – woraufhin die Musik wieder an Fahrt aufnimmt und zum Loop ansetzt.

 

 

Zugegeben: Danach wird es nicht mehr besser – aber auch kaum schlechter. Der folgende Endkampf „Your Best Nightmare“ ist das Chaos pur, so wild wie Fox mit dem Schlagzeug umherwirbelt, infantile an Kinderlieder erinnernde Themen einstreut und seinen Synthesizer voll auf Anschlag dreht, einfach nur um Krach zu machen. Es folgt ein furioses und höchst emotionales Finale nach dem anderen, das im besten Abspann zu einem der glorreichsten Enden in der Geschichte der Videospiele führt.

War es das? Nein – denn anschließend ist der Genozid-Durchlauf an der Reihe, der euch nochmal (!) mit zwei komplett anderen Endgegenermusiken einfach nur sprachlos macht. Während „Battle Against a True Hero“ das vielleicht beste Heldenthema aller Zeiten ist, kollabiert die gesamte Genialität von Undertale endgültig in das nicht in Worte zu fassende „MEGALOVANIA“. Dort mixt Fox Chiptune, Orchester und E-Gitarre in einer Geschwindigkeit zusammen, dass sich die Instrumente gegenseitig zu er- und überschlagen drohen.

Ich habe jedenfalls lange überlegt, wem der Titel „Beste Komposition 2015“ gebührt: „ASGORE“ oder „MEGALOVANIA“. Die Wahl fiel letztlich aus technischen Gründen an ersteres, den letzteres ist streng genommen ein Arrangement eines Stückes, das Toby Fox bereits in zwei anderen Werken implementiert hat: einem Earthbound-Mod und dem Webcomic Homestuck. Es ist quasi sein Markenzeichen und ich kann mir kaum vorstellen, dass er die Version in Undertale jemals überbieten wird.

Während offizielle Awardshows Toby Fox unbestreitbar geniale Kunst größtenteils ignoriert haben, erzählt der Kult unzähliger YouTube-Remixe, die innerhalb weniger Monate aus allen Ecken sprossen, eine andere Sprache. Wenn ihr mich fragt, dann verdient der Soundtrack von Undertale auf ewig einen Platz in den Geschichtsbüchern. Persönlich habe ich im Laufe von über 32 Jahren nur drei (!) Soundtracks gehört, die besser waren. Und ich kenne mich wahrlich mit der Thematik aus…

 


One Response to The Awardian: Best Game Soundtracks 2015

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