The Revenant

Ist Leonardo DiCaprios überfällig für einen Oscar? Wer das denkt, der kennt sich nicht wirklich mit der Verleihung und der Prozedur dahinter aus. Zugegeben: Mit fünf Nominierungen für schauspielerische Leistungen und eine als Produzent könnte man mal drüber nachdenken. Aber mit zarten 41 Jahren würde er trotzdem zur „jüngeren“ Garde gehören, die einer solchen Ehre zuteil werden. Fragt mal Al Pacino – der musste warten bis er 52 war.

The Revenant ist ein Film, der pures Leid ausstrahlt: Hugh Glass (gespielt von eben dem DiCaprio) ist ein Trapper, der gemeinsam mit seinem Sohn Hawk (Forrest Goodluck) zu Beginn des 19. Jahrhunderts einer Expedition angehört und durch die eisige Wildness von Nordamerika zieht. Die Truppe wird jedoch urplötzlich von Eingeborenen angegriffen und bis auf zehn Mann getötet.

Glass gehört zu den glücklichen Überlebenden und wird sogar dafür gefeiert, dass aufgrund seiner Anweisungen zumindest ein paar der Expeditionsmitglieder es geschafft haben. Doch kurz darauf folgt das nächste Unglück: Glass gerät in die Fänge eines ausgewachsenen Grizzlybären Er wird sehr schwer verletzt und kann das Tier nur mit allerletzter Kraft bewältigen. Als der Rest der Expedition ihn unter dem toten Bären begraben findet, gehen sie sogleich vom Schlimmsten aus. Glass Verletzungen seien derart schwerwiegend, weshalb er nicht mehr lange zu leben habe.

Die Expedition beschließt sich aufzuteilen: Drei Mann sollen bei Glass bleiben und ihn so lange versorgen, bis er stirbt. Darunter gehört sein eigener Sohn und der Pelzhändler John Fitzgerald (Tom Hardy). Dem ist jedoch Glass Leben völlig egal, weshalb er sich nur aufgrund der extra ausgeschriebenen Belohnung als freiwilliger Aufpasser meldet.

Es kommt, wie es kommen muss: Fitzgerald verliert die Geduld und will Glass unbemerkt ersticken. Dessen Sohn gerät dazwischen und wird im Kampfgetümmel von Fitzgerald erstochen – wohlgermekt während Glass kraftlos sowie bewegungsunfähig zuschauen muss. Danach wird der Trapper in ein vorgeschaufeltes Grab geworfen und mit einer kleinen Feldflasche voller Wasser zum Sterben zurückgelassen. Fitzgerald ist sich sicher, dass Glass keinen weiteren Tag mehr übersteht. Doch dabei hat er nicht mit dem unbändigen Überlebenswillen und dem unendlichen Durst nach Vergeltung seitens des Trappers gerechnet…

Wie gesagt: The Revenant ist pures Leid – und ein große Portion Rache obendrauf. Was DiCaprios Charakter hier für Qualen durchmacht, sei es körperliche wie seelische, ist phasenweise einfach nur niederschmetternd. Doch auch die erste Szene, in der die Expedition niedergemetzelt wird, ist in ihrer Darstellung schonungslos und ungeschönt. Mein erster Gedanke war: „The Revenant ist Inarritus Der Soldat James Ryan“.

Überhaupt: Alejandro Gonzalez Inarritu! Sechs Filme hat der Mexikaner gedreht, allesamt sind sie in irgendeiner Form Oscar nominiert – darunter zwei als fremdsprachiger Film, drei als Best Picture und fünf in mindestens einer Schauspielerkategorie. DAS ist eine Statistik, die so manchen Filmemache vor Neid erblassen lassen sollte.

Das Interessante hierbei ist, dass Inarritu bislang in Punkto Gewaltdarstellung nicht wirklich aufgefallen ist. Speziell Birdman, mit dem er letztes Jahr mehrere Oscars gewann, ist vom Tonfall und teilweise von der Darstellung her ein völlig anderes Biest. Einzig diverse Kamerschwenks und Szenenbilder lassen direkte Vergleiche zu, was man wiederum dem Kameramann Emanuel Lubezski anrechnen könnte. Der wiederum könnte allen ernstes Geschichte schreiben und in der Kategorie „Beste Kamera“ als erster überhaupt drei Oscars in drei aufeinander folgenden Jahren abräumen. Er gilt zumindest als Mitfavorit und wahrlich ist seine Leistung, die er fast vollständig ohne künstliche Lichtquellen erbracht hat, atemberaubend.

Die Art, wie hier die Natur in ihrer Schönheit und Gewalt dargestellt wird, ist unvergleichlich. Inarritu und Lubezski fangen Bilder und Momente ein, die tief beeindrucken und das perfekte Grundgerüst für die Rohheit hinter all den Ereignissen bilden. The Revenant ist dreckig, gemein und ungerecht – was umso ironischer klingt, wenn DiCaprio wirklich hierfür den Oscar erhält.

Und die Chancen dafür stehen mehr als gut, denn jeder weiß: Es ist SEIN Jahr. Keiner der Konkurrenten kann mit seiner Leistung mithalten, niemand von ihnen wirkt ähnlich „überfällig“. DiCaprio redet zwar nicht viel, aber dafür haut er einen Kraftakt raus, den man dem unschuldigen Bübchen aus Titanic vor zwanzig Jahren niemals zugetraut hätte. Nebenbei kommuniziert er mit seinem Sohn in Pawnee, einer alten Indianersprache, was jetzt auch nicht jeder aus Hollywood & Co. derart glaubwürdig hinbekommt.

Nein, da besteht kein Zweifel: Leonardo DiCaprio kriegt diesen Oscar für The Revenant. Es ist mehr die Frage, wie weit der Film und vor allem Inarritu als Regisseur kommen. Schafft er das Double, speziell nachdem Birdman von vielen als Anti-Boyhood-Wahl interprertiert wird? Ich weiß es nicht. Aber rein seine Leistung in diesem Jahr betrachtet, ist er in meinen Augen ein sehr ernstzunehmender Kandidat für die beste Regie.

Manche betrachten das Drehbuch als Schwäche, das interessanterweise auch nicht zu den satten zwölf Oscar-Nominierungen gehört. Doch auch hier möchte ich den Film verteidigen: Die Geschichte ist glaubwürdig, der Plotverlauf stimmig. Wenn ich ein Manko auflisten könnte, dann das eher ungute Gefühl, das einem beim Zusehen beschleicht. The Revenant ist wahrlich kein “Feel-Good-Movie” – aber genau darauf wollte Inarritu auch hinaus…

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller (Leonardo DiCaprio), Bester Nebendarsteller (Tom Hardy), Bester Ton, Bester Tonschnitt, Bester Filmschnitt, Beste Kamera, Bestes Produktionsdesign, Beste Kostüme, Bestes Make-up, Beste Visuelle Effekte.