Game #124: Overclocked

124-OverclockedHersteller: House of Tales
Development Director: Tobias Schachte
Creative Director: Martin Ganteföhr
Composers: Tilman Sillescu, Markus Schmidt, Alexander Röder & Alex Pfeffer
System: PC
Year: 2007

Von 2003 bis 2008 glich meine Berichterstattung bezüglich Point’n’Click-Adventures einer verzweifelten Hassliebe. Es dürstete mich nach einem würdigen Erben des LucasArts-Vermächtnis, doch obwohl sich gefühlt jeder zweite europäische Garagenentwickler daran versuchte, scheiterten und stolperten sie im Sekundentakt. Ich verweigerte reihenweise eine Wertung jenseits der „magischen“ 80-Punkte-Grenze (die meines Erachtens Schuld am Zusammenbruch des klassischen Prozentsystems ist) und das bei solch unter Genrefans beliebten „Hits“ wie Runaway 2, Black Mirror oder Moment of Silence. Besonders letzteres war mit viel Gram seitens des Entwicklers verbunden, denn man dachte allen ernstes, ich hätte die 79 aufgrund von Genrevorbehalten gegeben – und nicht weil das Spiel eben NICHT so grandios war wie erhofft.

Genau aus der gleichen Ecke erschien 2007 Overclocked, über das ich ganz frech sagen möchte: Einen größeren Fan wie mich werdet ihr kaum finden. Selten war ich nach einer Pressevorführung so begeistert – speziell in Anbetracht eines „schnöden“ Adventures. Aber die Idee hinter Martin Ganteföhrs mit Himmel weitem Abstand besten Spiel war und IST einfach zu geil.

David McNamara ist ein Spezialist der forensischen Psychatrie. Er wird von der Regierung nach Staten Island geschickt, wo sich ungewöhnliche Vorgänger häufen: fünf junge Männer sowie Frauen liefen unabhängig voneinander halb nackt durch die Straßen, schrien planlos herum und ballerten mit einer Schusswaffe durch die Gegend. Sie wurden allesamt von der Polizei eingefangen und in eine abgehalfterte Klinik gebracht, die kurz vor der Schließung steht. McNamaras vordergründige Aufgabe besteht darin, den Grund für die Ausraster zu finden und natürlich den Patienten zu helfen.

Anfangs wirkt alles wie ein 08/15-Point’n’Click-Adventure: Ihr beginnt in eurem Hotel, fahrt zur Klinik und redet vor Ort mit Dr. Young, der natürlich nicht sehr erfreut darüber ist, dass seine vermutlich letzten Fälle an einen „Spezialisten“ vergeben wurden. Doch sobald ihr euch dem ersten Patienten widmet, wird es interessant: Zunächst müsst ihr ihn in irgendeiner Form an das erinnern, was kurz vor seinem Nervenzusammenbruch passiert ist – meist reicht ein spezieller Gegenstand, der seinem Gedächtnis auf die Sprünge hilft. Bei Erfolg wechselt das Spiel in eine Rückblende, in der ihr die so eben wachgerüttelte Erinnerung erlebt.

Jetzt kommt der eigentliche Clou: Die Erinnerungen der Patienten werden rekursiv behandelt. Das heißt zuerst spielt ihr das Ereignis kurz vor dem Zusammenbruch, danach das Ereignis von zuvor, anschließend das davor, und so weiter und so fort. Was rein Story technisch böse bei Christopher Nolans Memento geklaut ist, entpuppt sich als Designgeniestreich.

So stoßt ihr in eurem Inventar stets auf neue Objekte, die einfach „da“ sind. Sobald ihr eine ältere Erinnerung „spielt“ und sich das besagte Objekt dort NICHT im Inventar befindet, wisst ihr sofort: „Aha! Danach muss ich jetzt also suchen, weil es ja in der anschließenden Erinnerung vorhanden war.“

Ebenfalls genial ist der Storyverlauf bezüglich David McNamara, der einige persönliche Schicksalsschläge zu erleiden hat und dessen Entwicklung zum Besten gehörte, was anno 2007 durch das Genre geisterte. Zwar leidet Overclocked darüber hinaus unter mäßig spannenden Zwischensequenzen, einer nicht immer sattelfesten Rätsellogik und einer allgemein eher steifen Präsentation, genau wie es für praktisch alle Adventurespiele aus der damaligen Zeit der Fall war. Doch die Idee mit der rekursiven Erinnerungsrekonstruktion ist derart brillant gewesen und im Kern auch hervorragend umgesetzt, weshalb mir all die Fehlerchen, die ich sonst durchaus auf die Goldwaage legen wollte, den Spaß an Overclocked nicht verderben konnte.

Die Entwickler waren jedenfalls von meinen 83 Punkten mehr als überrascht: Da hatte der Herr Altenheimer also doch keine Vorurteile gegenüber dem ach so gepeinigten Adventure-Genre. Na, so was aber auch…

 

 

Overclocked