Game #168: A Mind Forever Voyaging

168-A_Mind_Forever_VoyagingHersteller: Infocom
Design: Steve Eric Meretzky
System: nahezu alles, was Text darstellen kann
Jahr: 1985

Der zweite Infocom-Titel, der mich schwer beeindrucken konnte, erwischte mich eiskalt. Denn ursprünglich hatte ich A Mind Forever Voyaging gar nicht auf dem Schirm und schielte bezüglich ernsthafter Geschichten der Kultfirma eher in Richtung Trinity. Doch das politisch motivierte Meisterwerk von Steve Meretkzy dürfte vielleicht das am besten gealterte Spiel aus dem Hause Infocom sein.

Wir schreiben das Jahr 2031 und die Welt steht kurz vor dem Zusammenbruch. Die Wirtschaft stagniert seit Jahrzehnten, Jugendliche neigen immer früher zu Gewaltausbrüchen und Straftaten, die dritte Welt kollabiert endgültig aufgrund der Überbevölkerungsproblematik und parallel dazu ist das nukleare Wettrüsten auf dem Höhepunkt angelangt, weshalb die großen Staaten Atombomben in der Größe von Zigarettenpäckchen herstellen können.

Senator Richard Ryder schlägt deshalb einen strengen Masterplan vor, der drastische Steuersenkungen, konsequente Deregulierungen, die Rückkehr traditioneller Werte im Schulsystem oder die Zwangseinberufung für Kriminelle vorsieht. Während die Bevölkerung der sogenannten Unitet States of North America den Plan befürwortet, hat Dr. Abraham Perelman seine Zweifel am Erfolg.

Perelman ist der Erfinder von PRISM, einer künstlichen Intelligenz, die dank komplexer Simulationen die Lebenserfahrung eines zwanzig Jahre alten Mannes besitzt. PRISM soll eine weitere Simulation durchleben, die des Senators Vision in einer Dekade entspreche. Seine Aufgabe sei es Daten zu sammeln, inwiefern sich die Gesellschaft verändert habe und ob Ryders Plan langfristig betrachtet eine wirklich so gut Idee wäre.

Ihr übernehmt die Rolle von PRISM und reist in das zukünftige 2041. Eure Aufgabe ist eigentlich sehr simpel: Ihr sollt einfache Alltagssituation durchführen, wie beispielsweise mit eurer fiktiven Frau reden, ins Kino gehen oder in einem Café etwas bestellen.

Sobald ihr alle Aufgaben erledigt und fachgrecht aufgezeichnet habt, kehrt ihr zurück in die Realität. Dort schlägt Perelman vor, die Simulation für das Jahr 2051 fortzuführen. Wieder sollt ihr die gleichen Alltagssituation wie zuvor abarbeiten – und bereits da stellt ihr fest, dass Ryders Plan alles andere als zu einer besseren Welt führen dürfte…

Ich sage es gleich vorweg: Der Plot von A Mind Forevery Voyaging ist im Grunde sehr plump und arg einseitig. Von vorneherein ist es jedem klar, dass Ryder und sein Plan „falsch“ sein muss. Man bedenke hierbei auch, dass das Spiel zu Zeiten von Ronald Reagons Amtszeit als amerikanischer Präsident entstanden ist, und dessen Ansichten als konservativer Republikaner aus Sicht überzeugter demokratischer Ideale anprangert. Nicht, dass ich da was dagegen hätte – doch selbst ich als inzwischen überzeugter Links-Denker muss eingestehen, dass Meretzky mit seiner Schwarz-Weiß-Malerei trotz fachgerechter Wortwahl gefährlich nahe in Richtung Stammtischniveau schielt.

Diese grundlegende Problematik mal beiseite geschoben, bin ich regelrecht platt aufgrund der Komplexität und der Detailtreue, die A Mind Forever Voyaging bietet. Ihr könnt euch nahezu frei in einer fitkiven Stadt bewegen und die von euch geforderten Alltagssituationen in beliebiger Reihenfolge abhaken. Es gibt so gut wie keine Rätsel, aber dafür viele Textbeschreibungen und eine interessante wie beklemmend authentisch wirkende Entwicklung der Ereignisse.

Die Spielbarkeit ist für ein Infocom-Adventure erstaunlich fair. So ist es nicht weiter schlimm, wenn ihr versehentlich etwas völlig falsches macht und in eine Sackgasse geratet – was in den später simulierten Jahrgängen dank der immer weiter steigenden Kriminalität recht schnell passiert. Doch dann springt ihr einfach aus der Simulation heraus und startet sie von neuem. Eure bis dahin aufgezeichneiten Aufgaben müsst ihr nicht wiederholen.

Infocom hat mit A Mind Forever Voyaging durch puren Zufall ein Großteil des Komorts erreicht, der im heutigen Adventure-Genre Gang und Gebe ist. Noch mehr erinnert die Erzählstruktur und die mangelnde Rätseldichte an die immer beliebter werdenden Interactive Novels á la The Walking Dead oder Gone Home. Aus diesem Grunde sorgte das Spiel anno 1985 nicht für durchweg positive Reaktionen, weil man diese Art des Spieldesigns schlicht nicht kannte und nur schwer einzuschätzen vermochte.

Kurz: A Mind Forever Voyaging war seiner Zeit weit voraus. Es schreit geradezu nach einem Remake mit einer optisch simulierten Stadt und einem etwas differenzierterem Politikdenken. Ansonsten könnte man vieles 1:1 übernehmen – darunter auch die an sich schon großartige Idee, dass der Spieler die Rolle einer K.I. übernimmt…

 

 

A_Mind_Forever_Voyaging