Game #171: Leather Goddesses of Phobos

171-Leather_Goddesses_of_PhobosHersteller: Infocom
Design: Steve Eric Meretzky
System: nahezu alles, was Text darstellen kann
Jahr: 1986

Es hat einige Jahrzehnte (!) gedauert, bis ich mich endlich mit zumindest ein paar der alten Infocom-Klassiker ernsthaft auseinander setzen konnte. Zwar ging dies aufgrund fehlendem Zeitvolumens nur mittels ausgefeilter Kompletlösungen. Doch umso mehr spricht es für diese Text-Adventure-Kleinode, dass zumindest zwei davon nachträglich den Sprung in meine Top 365 geschafft haben.

Der erste Kandidat ist zugleich einer, von dem ich es am wenigsten vermutet hätte. Leather Goddesses of Phobos klingt nicht gerade nach einem künstlerisch wertvollen Programm und stellt auf den ersten Blick eine oberflächliche wie plumpe Parodie der Science-Fiction-Lektüre aus den 1930er Jahre dar, gepaart mit einigen höchst süffisanten Sex-Szenen.

Ja, ihr könnt in diesem Spiel Sex haben – und das sogar wahlweise als Mann oder als Frau, je nachdem für welchen Charakter ihr euch entscheidet. Die potenziellen Sexualpartner haben dann einfach das jeweils andere Geschlecht – die reine Textdarstellung macht’s möglich, gleichwohl sich der Spaß somit auf heterosexuelle Handlungen beschränkt.

Das Spiel „hatte“ mich bereits mit seiner Art, wie ihr euren „Charakter“ bestimmt: Laut Beschreibung befinde ich mich in einer Bar und habe ein dringendes „Bedürfnis“. Je nachdem, ob ich mich nun für die Männer- oder die Frauentoilette entscheide, bekomme ich die „passenden“ Geschlechtsorgane.

Kurz darauf werdet ihr von den Ledergöttinnen von Phobos entführt, die ihrerseits die Versklavung der Menschheit im Sinn haben. Eure Aufgabe besteht freilich darin, dies zu verhindern. Euch wird zugleich ein Sidekick zur Verfügung gestellt, der dem gleichen Geschlecht wie dem euren angehört. Er/sie wird im Laufe des Abenteuers mehrfach einer äußerst lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt, aufgrund deren Ausgang ihr nur auf den Tod eures Kameraden schließen könnt. Doch nur wenige Spielzüge später steht euer Kompagnon quicklebendig vor euch und erzählt euch auf immer abenteuerlichere Weise, wie er/sie die bedrohliche Gefahrensituation doch noch im letzten Moment überstehen konnte.

Der Sidekick steht stellvertretend für einen Humor, der Leather Goddesses of Phobos zu einem All-Time-Classic macht. Kurz: Das Spiel nimmt sich zu keinem Zeitpunkt ernst und veralbert sich selbst alle naselang. Autor Steve Meretzky ging sogar noch einen Schritt weiter und verpackte seinen eigenwilligen Humor geschickt ins Rätseldesign. Das folgende Beispiel habe ich zwar schon einmal in einem Bericht breit getreten, aber es ist auch wirklich absolut grandios:

Ihr begegnet irgendwann einem König namens Mitre, der unfreiwilligerweise das Vorbild zu dem hierzulande bekannten König Midas wurde. Der verwandelt jedoch im Gegensatz zur Legende nichts in Gold, sobald er etwas oder jemanden berührt. Nein: Wer ihm die Hand reicht, der verpufft zu einem 45 Grad Winkel (!). Nun hilft euch Mitre nur dann weiter, wenn ihr ihm seine versehentlich verwandelte Tochter zurückbringt.

Ihr findet im Laufe des Spieles zwei Gegenstände, mit denen ihr das tatsächlich schaffen könnt: eine Entfaltungscreme und eine mysteriöse Maschine, die als „Tee-Remover“ beziehungsweise auf Deutsch „Tee-Entferner“ bezeichnet wird. Wenn ihr die Creme in den Tee-Entferner steckt, dann verwandelt sie sich in ein Wundermittel mit der ihr Mitres Tochter lebendig machen könnt.

„Häh? Was?? Warum?!?“ . Ganz einfach: Leather Goddesses of Phobos ist ein englisches Text-Adventure. Die Entfaltungscreme heißt demnach „untangeling creme“. Der „Tee-Remover“ entfernt nun nicht irgendeinen Tee, sondern buchstäblich den Buchstaben „T“ eines jeden Objektes. Und wenn ihr von „untangeling creme“ das „t“ streicht, dann erhaltet ihr eine „unangeling creme“, was wiederum übersetzt „Entwinkelungscreme“ bedeutet.

Natürlich ist es ein oberfieses Rätsel, das heutzutage „gar nicht“ geht. Aber wir reden hier von einem Spiel, das vor Maniac Mansion & Co. erschienen ist. Damals war es auch völlig normal, dass der Spieler durch zahlreiche Sackgassen oder Instant-Death-Szenen gehetzt wurde. Wer beispielsweise den Tee-Remover mit dem „Tray“ (= Mülleimer) benutzt, der hat danach einen „Ray“ (= lebende Persönlichkeit (!)) im Inventar stecken und darf einen alten Spielstand laden.

Deshalb sind Infocom-Spiele heutzutage nur mit einer Lösung gescheit spielbar – aber eben trotzdem hochgradig spaßig, weil da so herrlich verrücktes Zeug bei heraus kommt wie die Geschichte rund um König Mitre und seine 45 Grad Winkel.

 

 

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