Alles steht Kopf

Lange Zeit galt Pixar als eine feste Größe für grandiose Unterhaltung. Egal ob Toy Story, Findet Nemo oder The Incredibles: Kein anderes Studio versteht es so gut, intelligente Animationsfilme zu gestalten, die gleichzeitig gewitzt, originell und kindgerecht sind. Doch in jüngster Zeit machte sich der verwöhnte Filmfan Sorgen: Die Monster Uni war eine allenfalls nette Fortsetzung, Merida wirkte trotz guter Prämisse unausgegoren in der Ausführung und über Cars 2 möchte man besser gar nichts verlauten.

Riley ist ein ganz normales, zwölfjähriges Mädchen. Sie pflegt ihre Freundschaften, spielt liebend gerne Eishockey und ist sehr Familienverbunden. Doch durch einen Umzug in eine andere Gegend bricht ihre heile Welt nach und nach auseinander. Vom Pech verfolgt verliert sie immer mehr ihre natürliche Freude, bricht unkontrolliert in Tränen aus und zeigt sich auch daheim ihren Eltern gegenüber ungewohnt verunsichert.

Was sich wie ein leidlich spannender europäischer Artfilm anhört, ist in Wahrheit der Plot zum neuesten Pixar-Streich Alles steht Kopf (beziehungsweise Inside Out im englischen Original). Der möchte uns erklären, dass jeder Mensch von fünf Emotionen gesteuert wird. Diese befinden sich in eurem Kopf und lenken eure Aktionen mittels einer Schaltzentrale. Im Gegenzug werden Ereignisse, die euch widerfahren, in kleinen Kugeln gespeichert. Die meisten davon landen im Langzeitgedächtnis, das Pixar in Form einer riesigen Bibliothek mit unzähligen Fächern und Regalen darstellt. Nur wenige Kugeln werden direkt ins Zentrum geschickt und bilden eure hervorstechende Persönlichkeit.

Rileys Emotionen lauten Freude, Kummer, Wut, Ekel und Angst. Freude ist lange Zeit die treibende und bestimmende Kraft, weshalb Riley von klein auf sehr fröhlich ist. Kummer hingegen scheint vollkommen nutzlos zu sein, denn weshalb sollte Trauer überhaupt Sinn machen? Schlimmer noch, so verursacht Kummer ganz unbewusst Schaden, in dem es fröhliche Erinnerungen allein durch ihre Berührung in traurige verwandelt.

Das besagte Pech, das Riley nach dem Umzug widerfährt, sorgt selbst bei Freude für Ratlosigkeit. Nichts scheint zu funktionieren, jeder Versuch der Aufmunterung resultiert in einer weiteren Enttäuschung. Beispielsweise schlägt sie der Mutter vor, den Pizzaladen um die Ecke zu besuchen – nur um dort angewidert festzustellen, dass sämtliche seiner Waren mit ekeligem Brokkoli „verunschandelt“ sind.

Letztlich kommt es zu einem Missgeschick, aufgrund dessen Freude und Kummer versehentlich aus der Schaltzentrale fliegen. Und jeder kann sich gut vorstellen, dass auch das harmloseste Mädchen keine gute Gesellschaft mehr darstellt, wenn es rein von Wut, Angst und Ekel gesteuert wird…

Alles steht Kopf ist ein in jeder Hinsicht brillant durchdachter Film, der gekonnt und vor allem gewitzt die menschliche Psyche aufs Korn nimmt. Allein die Idee, den Emotionen ihre eigene Persönlichkeit zu verpassen, ist genial. Zwar hat Regisseur Pete Doctor hier bei einer alten wie in Vergessenheit geratenen Fernsehserie namens Herman’s Head geklaut, jedoch gelingt ihm die Umsetzung bedeutend besser.

Sämtliche Elemente greifen hervorragend ineinander über. Sowohl die Geschichte, die Riley durchlebt, als auch das Abenteuer von Freude und Kummer, die verzweifelt einen Weg zurück zur Schaltzentrale suchen, wären bereits für sich betrachtet ein guter Plot. Egal ob man sie parallel verlaufend oder untrennbar miteinander verbunden betrachtet: Das Drehbuch funktioniert auf nahezu allen Ebenen.

Es gibt nur zwei Dinge, die mich an Alles steht Kopf stören: Während ich als Erwachsener großen Spaß mit der Prämisse hatte, könnte ich mir vorstellen, dass die Welt und die relativ komplexe Darstellung der Psyche Kinder überfordern könnte. Zum anderen ist die deutsche Synchronisation eher mittelmäßig, was ein Vergleich mit den auf YouTube veröffentlichten Clips der amerikanischen Originalfassung zeigt.

Beide Gründe sind demnach für jemand wie mich vernachlässigbar. Ganz im Gegenteil möchte ich Pete Doctor für ein kleines Meisterwerk gratulieren, das in fast jeder Hinsicht Sinn macht und gleichzeitig wunderbar lustig ist. Die Gags sind teilweise grandios geschrieben und die Charaktere bereiten dank ihrer liebenswerten Art durch die Bank weg viel Freude – was paradoxerweise auch für Kummer gilt.

Kein Wunder also, wenn ich es ernsthaft in Erwägung ziehe und Alles steht Kopf die Krone für den bislang besten Pixarfilm überreichen möchte. In jedem Fall ist es die Rückkehr zur alten Form, die wir alle nach WALL E, Oben und Toy Story 3 schmerzlich vermisst haben.