Oscar 2013/14: Die Ohn-Macht der Gilden

Jeder Oscar-Experte weiß es und ich hab es auch schon oft geschrieben: Es sind nicht die Golden Globes sondern die Gilden, auf die man beim Oscarrennen achten muss. Besonders das Triple DGA (der Director Guild Award für Regisseure), SAG (der Screen Actor für Schauspieler) und PGA (der Producer Guild Award für Produzenten) haben ein ernstes Wörtchen darüber zu sagen, wer am 2. März welchen Oscar gewinnt.

Seit ein paar Jahren liegt großes Augenmerk auf dem PGA: Dort werden zehn Kinoproduktionen nominiert und ein paar Wochen später ein Gewinner gewählt. Dabei gewinnt nicht der Film, der die meisten ersten Stimmen hat. Stattdessen wird genau wie bei den Oscars ein etwas komplizierteres Verfahren angewandt (was ihr ganz unten nachlesen könnt, falls es wen interessiert). Jedenfalls betrachten viele “Experten“ diesen speziellen Wahlvorgang als mit-entscheidend, warum der PGA seit der Aufstockung der “Best-Picture“-Riege von fünf auf (bis zu) zehn potenzielle Kandidaten stets den gleichen Sieger wie die Academy of Motion Picture Arts and Sciences ermittelt habe.

Sprich: Der PGA mache das gesamte Rennen kaputt. Auch in einem Jahr wie diesem, wo mit American Hustle, Gravity sowie 12 Years a Slave drei gleichwertig starke Konkurrenten ein heißes Gefecht abliefern, meinen viele Oscarwatcher, dass der PGA den Oscar vorher bestimme. Und jetzt ist der Knaller überhaupt passiert – das Szenario, mit dem keiner gerechnet hat:

Die Producer Guild of America hat nicht einen sondern ZWEI Filme gekürt – Gravity und 12 Years a Slave.

Für die meisten Menschen ist das wenig von Belang – aber für jemand, der wie ich mit voller Leidenschaft das Oscarrennen verfolgt, ist es wie ein Sechser im Lotto. Ich gebe auch zu, dass meine Freunde mit daran liegt, dass mein leicht absackender Favorit (Gravity) mit dieser faustdicken Überraschung richtig viel Aufwind erfährt.

Ich möchte ebenfalls gleich sagen, dass ich diese Theorie mit dem identischen Wahlverfahren und der damit stärkeren Nähe zur Oscar-Verleihung für unsäglichen Schwachsinn halte. Der PGA war schon immer ein relativ zuverlässiger Indikator, der lange Zeit drei von vier Filmen korrekt “vorhersagte“ und dann für ein paar Jahre am Stück eben nicht. Letztlich gibt es zwar eine Schnittmenge in der Wählergemeinschaft, aber der PGA wird eben nur von Produzenten und der Oscar von verschiedenen Hollywood-Berufsgruppen bestimmt. Kein Wunder also, wenn es viele jedoch nicht nur Gemeinsamkeiten gibt.

Der SAG für das beste Ensemble in einem Kinofilm wurde nebenbei erwähnt am Vortag an American Hustle vergeben, was aber bei dem Cast (Amy Adams, Christan Bale, Jeremy Renner, Bradley Cooper, Jennifer Lawrence) und den unzähligen Oscar-Nominierungen bei den Darstellern kaum anders zu erwarten war. Wenn einer der Filme ein klassisches Ensemble abliefert, das einfach wunderbar miteinander harmoniert, dann sicherlich David O’Russells neuestes Werk (mutmaße ich, denn sehen werde ich es erst Anfang Februar).

Insofern bleibt das Rennen zwischen den drei Favoriten ungewohnt spannend. Amerian Hustle mag den PGA verloren haben, jedoch sind die meisten Wähler innerhalb der Academy Awards nach wie vor Schauspieler. Und auch der DGA, der nächste Woche den besten Regisseur bestimmt, wird vermutlich keine Klarheit schaffen. Denn dort wird Alfonso Cuaron als nahezu sicherer Sieger gesehen, weil Gravity über allem aufgrund der außerordentlichen Regieleistung so grandios funktioniert. Andersherum: Sollte er das nicht schaffen, dann sieht es schwer für Gravity aus.

Der DGA ist in meinen Augen die einzig bemerkenswerte Statistikgröße im Vorfeld der Oscarverleihung. Es gibt ihn seit den 1950er Jahren und seither gab es bis auf sieben magere Male den gleichen Regie-Sieger wie bei den Academy Awards. Das ist enorm wenig – zudem in drei Fällen der betreffende Regisseur bei den Oscars aufgrund einer jeweils überraschenden Nicht-Nominierung jede Chance im Vorfeld verloren hatte (wie z.B. letztes Jahr Ben Affleck).

Darüber hinaus hängen Best Picture und Best Director sehr eng zusammen. Viele begreifen den Unterschied nicht und setzen ihr Kreuzchen automatisch in beiden Fällen neben dem gleichen Film – ergo ist der DGA-Gewinner in der Regel nicht nur ein Oscar-Preisträger, sondern oft auch der zugehörige Film selbst. Doch Cuarons Gravity ist eine seltene Anomalie, wo selbst der Laie, der dem Film an sich wenig abgewinnen konnte, bemerkt: Da hat der Regisseur verdammt viel Leistung vollbracht.

Ich selbst tippe weiterhin auf einen so genannten Split, d.h. Best Picture und Best Director gehen an unterschiedliche Filme. Die eine Trophäe geht an Cuaron, da bin ich mir nahezu sicher. Bei der anderen hingegen traue ich mir derzeit noch keine Prognose zu, bis ich selbst American Hustle und 12 Years a Slave gesehen habe. Aufgrund der Tatsache, dass letzterer Film bei vielen Academy-Wählern aufgrund des unangenehmen Sklaverei-Themas eher Respekt anstatt Liebe geerntet hat, tendierte ich aus dem Bauch heraus leicht in Richtung Hustle.

Nur um das klar zu stellen: Ich will, das Gravity gewinnt. Ohne die Konkurrenten gesehen zu haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass mich noch mal ein Film aus dem gleichen Jahrgang derart begeistert. Im Laufe der nächsten Woche stelle ich jedenfalls alle neun Best-Picture-Kandidaten hier auf The Awardian vor. Deshalb: Stay tuned…

 

Abschließend, für alle, die es interessiert: Sowohl bei den Oscars als auch beim PGA wählen die Mitglieder nicht einfach einen Lieblingsfilm, sondern listen alle gesichteten Werke in einer Reihenfolge von “bester“ zu “schlechtester“ auf. Danach werden die Zettel nach den jeweiligen Erstplatzierungen sortiert und das Schlusslicht heraus genommen. Der betreffende Titel wird durchgestrichen und die Zettel in Abhängigkeit vom Film, der auf dem zweiten Platz steht, neu sortiert. Danach wird wieder der Kandidat mit dem kleinsten Stapel gekickt und dir Prozedur beginnt von vorne, nur eben dass jetzt der dritte Platz zum Zuge kommt. Das Spielchen wird so lange wiederholt, bis ein Film die Hälfte aller Zettel gesammelt hat.

Im Klartext: Es gewinnt nicht der Film mit den meisten Erststimmen, sondern es gewinnt der Film, der im direkten Vergleich zu allen anderen Filmen am besten abgeschnitten hat