The Piano Collection

Ich habe mich immer auf das neueste Album von Chris Hülsbeck gefreut… o.k., das entspricht nicht ganz der Wahrheit: Mein Enthusiasmus steigt mit jeder Ankündigung auf ein nicht mehr mit dem metrischen System messbares Level. Skeptisch war ich nie – bis zur Piano Collection. Da fragte ich mich schon insgeheim: Wie soll ein pures Klavier-Arrangement all die Facetten und die Größen der Hülsbeck’schen Kunst umfassen?

Nicht falsch verstehen: Ich mag Klaviersolos – aber für 80 Minuten am Stück fehlt mir die Geduld. So hielt sich meine Begeisterung auch beispielsweise bei den vielen Piano Adaptionen von Final Fantasy in Grenzen. Denn nochmal: Wie soll das gehen? Ein Instrument… ein einziges Instrument…

Piano_CollectionChris Hülsbecks The Piano Collection ist ein kleines Meisterwerk, das fast keine Wünsche offen lässt. Patrick Nevians Arrangements sind durch die Bank weg ein Gewinn, weil sie nicht einfach die Originale kopieren sondern um sinnige wie feinfühlige Elemente erweitern. Die Performance, ebenfalls von Nevian ausgeführt, wirkt hochsensibel und unwahrscheinlich liebevoll. Am deutlichsten spüre ich dies bei Jim Power Stage 1, das so perfekt und so harmonisch klingt, als ob es schon immer für Klavier gedacht sei.

Die Auswahl der adaptierten Musiken ist in meinen Augen sehr mutig, weil sich Hülsbeck, Nevian und Sound of Games-Guru Michael Stöckemann eben nicht auf die „berühmten“ Klassiker konzentriert haben. Gerade die bis in die Ewigkeit gelobte Turrican-Serie kommt hier überraschend kurz und ist gerade mal mit zwei Liedern vertreten: The Great Bath und Turrican 3 Credits. Letztgenanntes Stück ist für mich zudem eine der wenigen „Schwachstellen“ des Albums, aber auch nur weil es bereits so oft in Klavierform gespielt wurde – sei es auf Konzerten oder für andere CD-Veröffentlichungen.

Christmas Theme und On Stage sind hingegen zwei echte Geheimtipps, die nur die fanatischsten Hülsbeck-Fans kennen und gerade deshalb eine echte Bereicherung darstellen. Besonders On Stage, das schon im Original auf der To-be-on-Top-CD per Klavier gespielt wurde, ist ein famoses Testament für Hülsbecks kompositorisches Talent.

Die größte Überraschung ist das Katakis Medley: Hülsbeck hat sich bislang von einer Adaption des C64-Klassikers fern gehalten, was insofern verwundert, weil der Titel a) zu seiner Zeit sehr beliebt war, b) er recht viele Stücke dafür geschrieben hat und c) ausgerechnet die Instrumentation, seine sonst so große Stärke zu 8- & 16-Bit-Zeiten, schwächelte und somit genügend Spielraum für eine Studioversion ohne Hardwaregrenzen vorhanden wäre.

Die Piano-Version von Patrick Nevian zeigt endlich, was in Katakis steckt. In den ersten Takten ist die Originalmusik kaum zu erkennen, weil Nevian viel drumherum spielt. Erst nach gut einer Minute tritt schlagartig der „Aha“-Effekt ein und die Kernmelodie des Hauptthemas kommt gleich in mehreren, brillanten Variationen zum Zuge. Mal flott, mal ruhig, mal verspielt: Nevian zeigt hier die volle Bandbreite, was mit einem einzelnen Klavier möglich ist.

Und dann, nach einem etwas gemächlicheren Part, verstummt er einfach bei Minute 3:21. Drei Sekunden lang hallt nur der letzte Ton, als Nevian plötzlich mit wenigen Klaviertasten in einer genialen Überleitung die erste Stagemusik teasert. Das folgende Arrangement ist für meine Begriffe das beste der gesamten Piano Collection und wird durch eine ruhige Adaption des Hi-Score-Themas abgerundet.

Abseits der CD besteht The Piano Collection noch aus einem fetten Notenbuch, das sämtliche Titel in zweierlei Form beinhaltet: eine komplette mit allen Facetten und eine simple für Anfänger. Dazu kommen massig Texte, die viele Hintergrundinfos bezüglich Chris Hülsbecks Leben und der Realisierung seiner hier präsentierten Musik liefern. Auch dieses Buch wirkt sehr gut ausgearbeitet und kompetent durchdacht. Leider könnt ihr es nur noch in PDF-Form erwerben: Die gedruckte Version beschränkte sich auf 500 Exemplare und war den Backern der Kickstarter-Kampagne vorbehalten.

Damit mir nicht wieder das Chris-Hülsbeck-Fanboy-Syndrom vor Augen gehalten wird, möchte ich abschließend zwei Sachen monieren: Zum einen enttäuscht das Orchester-Arrangement der Apidya Credits, das als Bonus-Strechgoal gerade noch so realisiert werden konnte. Ihm fehlt die kraftvoll-epische Komponente des Originals, die man mit satten Bläsern durchaus hätte erreichen können. Doch stattdessen entschied sich Orchestrator Michael Stöckemann für eine eher sanftere, melancholische Variante, die einerseits besser zum Gesamtbild der Piano Collection passt, aber eben andererseits nicht der Amiga-Version gerecht wird.

Zum anderen finde ich es schade, dass sich das Album auf Hülsbecks Schaffen von 1985 bis 1998 beschränkt (von einem brandneuen Stück, das extra für die CD komponiert wurde, abgesehen). Natürlich war das die „große“ Zeit, in der sich der Mann einen Namen gemacht hat. Aber warum vergisst nun auch diese Collection all das, was in den letzten fünfzehn Jahren passiert ist? ZombieSmash? The War of the Worlds? Number Nine? Twisted Dreams? TouchFish? Rebel Strike? Nun gut, letzteres dürfte aufgrund von Lizenzproblemen nicht gehen. Aber all die anderen genannten Titel hätten gepasst, das Gesamtwerk von Chris Hülsbeck bis zum heutigen Tage zu repräsentieren.

Davon abgesehen möchte ich mehr Arrangements seiner „unbekannten“ Highlights. Ich will ein orchestrales M.U.D.S., ein schauriges Hexuma (dessen Kapitel 1 Musik nebenbei bemerkt auch grandios per Klavier funktionieren müsste), ein melancholisches Apprentice, ein peppiges Masterblazer, eine moderne ChipTune-Version von Dulcedo Cogitationis und vor allem endlich mal irgendein (!) professionelles Arrangement von Magnetic „Rock’n’Roll“ Beats (das zwar streng genommen von Ramiro Vaca komponiert wurde, aber maßgeblich von Hülsbecks Instrumentation für den Amiga profitiert)!

Es stecken noch so viele Klassiker in Chris Hülsbecks Portfolio (egal ob alt oder neu), weshalb sich der Mann eigentlich keine Sorgen um sein Altenteil machen muss.

Sowohl die CD als auch das Notenbuch könnt ihr hier in digitaler Form erwerben.