American Sniper

Eines der größten Probleme, die ein guter Kritiker in meinen Augen bewältigen muss, ist die Akzeptanz von Meinungen, die er in seinem Privatleben nicht tolerieren kann – dies betrifft vorrangig solch heikle Themen wie Religion oder Politik. Denn auch wenn der überzeugte Atheist nicht mit der Botschaft von Cecil B. DeMilles Die zehn Gebote klar kommt, so sollte er in seiner Rolle als Kritiker den Film an sich trotzdem für seine Leistungen würdigen können.

Chris Kyle erfährt als Kind von seinem Vater die vielleicht wichtigste Moralpredigt seines Lebens, nach derer es drei Gruppen von Menschen gibt. Die Schafe sind die Opfer. Die Wölfe deren Feinde. Und über beiden stehen die Hütehunde, jene die Schafe vor den Wölfen beschützen. Chris verspricht seinem Vater, einer der Beschützer zu werden.

1998 geht er zur Armee geht und lässt sich als Scharfschütze ausbilden. Er gelangt nach den Terroranschlägen vom 11. September in den Irak, wo Chris Kyle zur Legende wird. Im Ernst: Seine eigenen Kameraden brandmarken ihn mit diesem profanen Spitznamen, weil er der “erfolgreichste“ Scharfschütze der US-Geschichte ist. Im Laufe einer Dekade hat er in vier Einsätzen zwischen 160 und 255 Menschen getötet – die erste Zahl bezieht sich auf bestätigte Abschüsse, die zweite auf Kyles Memoiren.

American Sniper erzählt die Geschichte von Chris Kyle, der von vielen in Amerika als Held gefeiert wird. Dank ihm seien zahlreiche US-Soldaten unversehrt nach Hause gekommen. Demnach ist es kein Wunder, dass der neueste Film von Clint Eastwood einen überragenden Erfolg an den Kinokassen feiert und bisweilen über 300 Millionen Dollar eingespielt hat.

Die Thematik ist für mich als links denkender natürlich ein schwerer Schlucker. Obwohl ich Eastwood instinktiv als genau den richtigen Mann für diesen Stoff bezeichne, weil er einer der wenigen, überzeugten Republikaner ist, vor deren politische Meinung ich Respekt habe, so blieb ich gerade in Anbetracht des immensen Erfolgs skeptisch. Würde hier am Ende ein verkappter Massenmörder als Heiland gefeiert, weil sich die USA insbesondere militärisch immer im Recht sieht?

Gottlob nein.

Am Ende des Filmes, dessen Verlauf und Ausgang ich mir schon im vorhinein zusammenreimen konnte, sehe ich Chris Kyle nicht als Helden, dessen Handeln zur Nachahmung aufruft. Mir tut er vielmehr Leid. Angefangen von der Erziehung seines Vaters bis hin zu seiner Legendenbildung wirkt er auf mich immer unzufriedener und frustrierter, je weiter sein Leben voranschreitet. Anfangs macht er noch lockere Witzchen und ist ein typischer Macho-Charmeur, dessen Testosteron gesteuerten Sprüche selbst mich zum Lachen bringen. Doch gegen Ende ist er ein seelisch gebrochener Mann, der aufgrund seiner Taten in ein tiefes, dunkles Loch gefallen ist und dies selbst nicht begreifen kann.

Achtung, Spoiler für alle jene, die Chris Kyles Leben bislang nirgends verfolgt haben: Ich rechne Clint Eastwood abseits einiger herausragender Einstellungen vor allem das grandiose Ende an. So viele andere Regisseure hätten seinen tragischen Tod mit viel Pathos und Dramatik in Szene gesetzt. Eastwood hingegen zeigt nur die letzten Momente, die Chris mit seiner Familie verbringt. Das Schicksal wird durch eine simple Texteinblendung erklärt sowie durch Aufnahmen der Originalbeerdigung untermauert. Noch stärker und mutiger ist die äußerst schlichte Idee, während der scrollenden Credits völlig auf Musik zu verzichten. Das hat mich mehr zum Nachdenken angeregt, als jeder andere Film aus dem Jahre 2014.

Bedeutend mehr Lob gebührt allerdings Bradley Cooper, der endgültig im Olymp der besten Schauspieler seiner Generation angekommen ist. Seine Präsenz ist von Anfang bis Ende schier unglaublich. Er wirkt gleichzeitig kühn, bullig und tief in seinem Inneren sehr verletzlich. Die Art, wie er all die Probleme mit kurzen Kommentaren und wenig Gefühlsregungen abzustreifen versucht, ist beängstigend echt. Man merkt richtig, dass Cooper es ungeheuer wichtig war, Kyles Vermächtnis Ernst zu nehmen und gleichzeitig keine seiner Schwächen außer acht zu lassen.

Handwerklich ist American Sniper speziell im Schnitt und Ton stark, weshalb mich die entsprechenden Oscar-Nominierungen und der eine Gewinn wenig wundern. Was ich dem Film ankreiden könnte, ist die einseitige Darstellung der Iraker: Diese wirken entweder feige, verängstigt, hilflos oder teuflisch, barbarisch, heimtückisch. Aber auch das spiegelt eigentlich nur die Wahrnehmung von Chris Kyle und seine in der Tat eindimensionale Sichtweise wieder.

Eastwood selbst verteidigt sein Werk damit, dass es sich nicht für sondern gegen Krieg ausspreche. Er untermauert diese These auf die gleiche Weise, wie ich den Film gesehen habe: Das am Ende kein Held auf der Leinwand zu sehen ist, sondern ein desillusionierter, leerer Mann und dem es sogar schwer fällt, sein eigentlich heiles Familienbild zu genießen. Dies wird besonders deutlich, wenn er auf seinen Titel als “Legende“ angesprochen wird: Anstatt zu prahlen oder damit anzugeben, ist es ihm sichtlich unangenehm – insbesondere als sein kleiner Sohn damit konfrontiert wird. Da steckt auch keine verkappte Demut dahinter, sondern pure Verunsicherung. In jeder zweiten Szene sehe ich in Coopers Augen diese eine Frage: “Wie konnte es nur so weit kommen?“ oder “Was soll ich hier überhaupt?“.

American Sniper wird in meinen Augen niemanden zum Krieg bekehren. Er zeigt mir zwar, wie jene Leute aussehen, die ihn befürworten – aber im gleichen Zuge macht er mir klar, wieso diese Ansicht falsch ist. Ich kann nur jedem raten, den Film auf die gleiche Weise zu betrachten. Er hat nämlich mehr verdient, als nur den “Respekt“ erzkonservativer Republikaner.

Oscar-Nominierungen: Bester Film, Bester Hauptdarsteller (Bradley Cooper), Bestes Drehbuch (adaptiert), Bester Ton, Bester Tonschnitt, Bester Filmschnitt.

Alle Kritiken der Best-Picture-nominierten Filme 2014:

Boyhood
The Grand Budapest Hotel
Die Entdeckung der Unendlichkeit
The Imitation Game
Birdman
Whiplash
American Sniper
Selma